in familiärer Betreuung oder in der Krippe
Erkenntnisse aus der Bindungsforschung und der analytischen
Psychologie sowie Hinweise auf verschiedene Studien
von Gisela Geist
Mainstream Krippenbetreuung, einige Beobachtungen Erkenntnisse der analytischen Psychologie und Bindungsforschung zur Bindungssicherheit und Autonomieentwicklung Zur Situation in Krippen (Kita U3)
Mainstream Krippenbetreuung, einige Beobachtungen
Noch vor wenigen Jahren gab man Kleinkinder nur in Notfällen in Fremdbetreuung, zumindest in Westdeutschland. Heute ist es auch hier zur Norm geworden, die Kinder ca. mit einem Jahr in die Krippe zu geben, worauf der gesetzliche Anspruch auf einen Krippenplatz seit 2013 einen wesentlichen Einfluss hat.
Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz hat seit 2013 zu enormen Bemühungen der dafür verantwortlichen Kommunen geführt. Von Anfang an konnte jedoch weder der quantitative Ausbau mit der Nachfrage Schritt halten noch konnten notwendige qualitative Anforderungen erfüllt werden.
Im privaten wie im beruflichen Umfeld erfahre ich, wie sehr Eltern – und gerade auch Eltern mit guter Einfühlung, Beziehungsfähigkeit und emotionaler Stabilität – durch die derzeitige öffentliche Meinung verunsichert werden. Denn ihre Elternrolle und die individuelle, liebevolle Beziehung zu ihrem Kind wird gegenüber ihrer beruflichen Arbeit entwertet. Schon vor der Geburt, also bevor sie ihr Kind auch nur kennt, muss sich die Mutter entscheiden, wann sie wieder in den Beruf einsteigen wird. Das ist üblicherweise nach einem Jahr, denn da endet das Elterngeld. Von Politik und Medien wird Krippenbetreuung ab einem Jahr als „frühkindliche Förderung“ angepriesen. Nicht nur vom Arbeitgeber, sondern auch von anderen Eltern fühlen sich Eltern häufig unter Druck gesetzt.
Wenn eine Mutter oder ein Vater z. B. spürt, dass ihr Kind sie auch noch mit einem Jahr und darüber hinaus weitgehend verfügbar braucht, wird ihnen vorgeworfen, sie könnten ihr Kind nicht loslassen. Dasselbe können sie zu hören bekommen, wenn ihr Kind Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung in der Krippe hat.
Dabei entspricht es nicht dem entwicklungsgemäßen Bedürfnis eines Kindes unter drei bis vier Jahren, seinen Radius in diesem Maße zu erweitern und sich von seinen primären Bindungspersonen über viele Stunden am Tag zu trennen. Diese Trennung wird von Elternseite initiiert und bedeutet für das Kind eine große emotionale Belastung. Auch manche Eltern leiden unter diesem Trennungsprozess.
Anstatt die Eltern darüber zu informieren, warum sie so wichtig für ihre Kinder sind und sie zu unterstützen, wird hingegen Krippenerziehung als Förderung in intellektueller und sozialer Hinsicht propagiert.
Dadurch werden die Eltern in ihrer Rolle weiter entwertet. Man hört Aussagen wie: „Wir können unserem Kind doch gar nicht so viel bieten wie eine Krippe.“
Die verunsicherten Eltern vertrauen mehr dem Mainstream als ihrem Gefühl. So lassen sie sich zunehmend emotional gar nicht mehr richtig auf die Beziehung zu ihrem Kind ein, denn gute Eltern scheinen die zu sein, die ihrem Kind eine frühe Förderung bei Fachkräften zukommen lassen. Wer einen Krippenplatz hat, rühmt sich glücklich, denn was rar ist, wird als wertvoll empfunden.
Parallel zu dieser Entwicklung wird häufig z. B. von ErzieherInnen beobachtet, dass immer mehr Eltern wenig einfühlsam und verständnisvoll mit ihren Kindern umgehen können, wenn sie sie zur Krippe bringen oder abholen. Es wird ihnen auch vorgeworfen, dass sie ihr krankes Kind in die Krippe bringen.
Was aber tun, wenn das Kind häufig von Infekten geplagt wird, die zehn Tage pro Elternteil im Jahr dafür schnell verbraucht sind und der Arbeitgeber ungeduldig wird? Die Eltern sind im Dilemma zwischen Kind und Arbeit. Was tun, wenn die Kita wegen Personalmangel, Krankheit oder Streik einige Tage schließt?
Was tun, wenn die Eltern abends nach einem langen Arbeitstag ruhebedürftig sind, das vom langen Krippentag erschöpfte Kind quengelt und nebenher noch der Haushalt und Einkauf besorgt werden muss? Stress für alle. Sollen das die wenigen Stunden „Qualitätszeit“ für Eltern und Kind am Tag sein? Unter solchen Umständen können sich sehr schnell und dauerhaft negative Beziehungsmuster zwischen Eltern und Kind einstellen.
So kann die gepriesene „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ in vielen Fällen aussehen.
Auch wird von ErzieherInnen und Therapeuten beobachtet, dass das Bindungsverhalten der Krippenkinder ihren Eltern gegenüber tendenziell problematischer wird. So kann z. B. bemerkt werden, dass die Kinder anfangs eher an ihren Eltern klammern und weinen, später die Eltern oft ignorieren oder sich abwenden, dass sie sich ihnen teilweise im Übermaß verweigern oder quengeln oder dass sie sich emotional zurückziehen und sich besonders angepasst verhalten. Manche reagieren u. a. mit Ess- oder Schlafstörungen. Einige Kinder können nicht mehr recht unterscheiden zwischen vertrauten und fremden Personen. Diese Reaktionen werden in der Regel von den Eltern nicht mit der Krippenbetreuung in Zusammenhang gebracht. Psychotherapeuten wissen, dass das bedenkliche Anzeichen sein können, was die Bindungssicherheit betrifft.
Das sind Hinweise darauf, dass sich die „Krippenoffensive“ negativ auswirken kann auf die Eltern-Kind-Bindungen und das Familienleben.
Sehr häufig wird jedoch derzeit anders herum argumentiert: Da die Familien immer weniger taugten, müsse der Krippenausbau umso mehr vorangetrieben werden.
Sicherlich gibt es Familien, die problematisch sind, die besondere Unterstützung brauchen und für deren Kinder evtl. Lösungen außerhalb ihrer Familie gefunden werden müssen. Aber häufig werden in der heutigen Diskussion diese besonderen Familien exemplarisch für alle herangezogen.
Wenn das Krippen-Thema diskutiert wird, schlagen die Emotionen leicht hoch, da es auch andere Themen berührt, wie Emanzipation der Frau, Wertewandel und veränderte wirtschaftliche Verhältnisse.
Nicht zu vergessen: Die politische Initiative zur „Krippenoffensive“ ging nicht etwa von Pädagogen oder Psychologen aus, sondern von wirtschaftlichen Interessen.
In diesem Beitrag soll es endlich einmal um die Kinder gehen, um deren Wohl und gesunde Entwicklung.
Erkenntnisse der analytischen Psychologie und Bindungsforschung
zur Bindungssicherheit und Autonomieentwicklung
Wer sich vertieft mit der kindlichen Entwicklung auseinandersetzt, weiß, dass ein Kind im ersten Lebensjahr eine Bindungsbeziehung aufbaut und sie dann im Laufe des zweiten und dritten Lebensjahres weiter stabilisiert und verinnerlicht. Sie oder er weiß, wie wichtig vor allem in den ersten drei Lebensjahren eine sichere Bindung zu wenigen verlässlichen, feinfühligen, weitgehend verfügbaren Bindungspersonen ist, damit ein Kind sich bestmöglich entwickeln kann:
- dass es ein Grundgefühl von Sicherheit/Urvertrauen aufbauen kann,
- seine Gefühle wahrnehmen und regulieren lernt – mit Hilfe von Verständnis und Trost von Seiten der vertrauten Bindungsperson und durch allmähliche Verinnerlichung dieser Person und Haltung,
- dass es über Angenommensein und Verlässlichkeit ein gutes Selbstwertgefühl aufbauen und
- eine gesunde Selbständigkeit mit Interesse an der Welt und anderen Menschen entwickeln kann.
Die Mutter ist am natürlichsten als primäre Bindungsperson geeignet, da sie durch Schwangerschaft, Geburt und Stillen schon emotional und hormonell auf die Fürsorge für ihr Kind nach der Geburt eingestellt ist. Andererseits ist auch das Kind schon „von innen her“ mit ihrer Stimme, ihrem Geschmack/Geruch und ihren Rhythmen (Herzschlag, Atem etc.) wie mit keinem anderen Menschen vertraut. Grundsätzlich kann auch der Vater oder eine andere Person zu einer geeigneten primären Bindungsperson werden. Auch sind mütterliche und väterliche Beziehungsqualitäten nicht unbedingt an das Geschlecht des jeweiligen Elternteils gebunden.
Die Bindungspersonen haben eine bestimmte Rangordnung für das Kind: Bei der wichtigsten fühlt sich das Kind am sichersten, es kann sich am besten bei ihr beruhigen und sich von ihr trösten lassen.
Im ersten Lebensjahr wird die Basis gelegt für ein Lebensgefühl von Sicherheit und Urvertrauen.
Zur Autonomieentwicklung im zweiten und dritten Lebensjahr:
Nach dem ersten Lebensjahr, in dem es um den Aufbau einer sicheren Bindungsbeziehung geht, stehen am Ende des ersten und im zweiten Lebensjahr für das kleine Kind weitere wichtige Entwicklungsschritte an. Je sicherer es ist, jederzeit bei der Geborgenheit vermittelnden Bindungsperson auftanken zu können, desto besser kann es beginnen, sich zeitweise von ihr zu entfernen, die Welt zu erforschen und sich teilweise anderen Menschen zuzuwenden. In dieser Zeit beginnt der Prozess, sich aus dem Einheitsempfinden mit der wichtigsten, primären Bindungsperson zu lösen und sich langsam als eigene Identität zu erleben und abzugrenzen: die Autonomieentwicklung beginnt. Dieser Fortschritt löst gleichzeitig Trennungsängste aus, da das bisherige Erleben von Verbundensein verloren geht. Wegen dieser Verunsicherung ist die weitgehende Verfügbarkeit der wichtigsten Bindungsperson weiterhin besonders entscheidend für das Sicherheitsgefühl und Selbstwerterleben des Kindes. So kann es auf sicherem Boden seinen Weg der Ablösung und Selbstwerdung in der ihm angemessenen Geschwindigkeit fortsetzen. Im zweiten Lebensjahr wird die Basis gelegt für ein gesundes Identitäts- und Selbstwertempfinden.
Am Ende des zweiten, Anfang des dritten Lebensjahres ist die Identitätsentwicklung des Kindes und die Verinnerlichung der wichtigsten Bindungsperson (das innere Vorstellungsbild derselben) so weit fortgeschritten, dass Trennungen besser überbrückt und ausgehalten werden können. Daher sollte man frühestens ab diesem Alter an eine sorgfältig ausgewählte Fremdbetreuung denken. Dabei ist entscheidend, dass die Zeitdauer der Trennung begrenzt ist (höchstens halbtags) und dass eine geeignete Bindungsperson zur Verfügung steht. Denn das „Ich“-Erleben des Kindes ist noch unsicher und wird leicht überwältigt von seinen Bedürfnissen und Gefühlen, die es noch nicht selbst regulieren kann.
Während es in dieser Phase dabei ist, sich in seiner Identität und Wirksamkeit selbst zu erfahren und zu erproben, um sich dann wieder abzusichern, ist das Kind noch ganz auf seine eigenen Wünsche und Vorstellungen fixiert. Daher sind Begegnungen mit Gleichaltrigen tendenziell konflikthaft. Denn Kinder sind in diesem Alter aufgrund ihrer entwicklungsgemäßen Selbstbezogenheit noch nicht dazu fähig, aufeinander einzugehen und konstruktiv über längere Zeit miteinander zu spielen. In der Gruppensituation der Krippe, wo sie weitgehend auf sich selbst gestellt sind, sind sie daher emotional überfordert. Oft wird angeführt, dass sich die Kleinen in der Krippe schon so schön gegenseitig trösten könnten. Das kann aber bei unter Drei- bis Vierjährigen noch nicht auf echter Einfühlung beruhen, sondern eher auf dem Bestreben, damit auch den eigenen Stress zu begrenzen, denn Kinder unter drei Jahren werden noch enorm von den Gefühlen anderer angesteckt.
In der Umgangssprache bezeichnet man diese Phase auch als Trotzalter. Die Autonomieentwicklung mit all ihren ambivalenten Gefühlen zwischen Abhängigkeit und Autonomie, verbunden mit heftigen Wutanfällen und dann wieder mit Unsicherheit und Trennungsängsten, findet im dritten Lebensjahr einen Höhepunkt. Nicht nur das Kind ist gefordert mit seinen teilweise überwältigenden Gefühlen, die es am besten zeigen kann, wenn es sich sicher gebunden fühlt, sondern auch die betroffene Bindungsperson. Je besser sie das Kind kennt und je vertrauter sie mit ihm ist, desto besser kann sie mit Verständnis und guter Einfühlung, mit Kreativität, Geduld, guten Regeln und etwas Humor seine Gefühlsäußerungen aushalten und regulieren.
Entsprechend dieser Erfahrungen lernt das Kind seine eigenen Gefühle kennen und zuordnen und kann sie mit der Zeit zunehmend selbst regulieren. Wenn es seine eigene Gefühlswelt kennt, wird es sich im Laufe der Zeit immer besser auch in andere Menschen hineinversetzen können.
Das sind die Grundlagen von Empathiefähigkeit und späterer Sozialkompetenz.
Es bedeutet einen großen Unterschied für die weitere Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes, ob es diesen sensiblen Entwicklungsprozess der Ablösung, sozusagen auf sicherem Boden, weitgehend selbst bestimmen darf oder ob ihm dieser sichere Boden durch unangemessene Trennungserfahrungen entzogen wird.
Kinder können unglaubliche Anpassungsleistungen erbringen, auch was die Autonomieentwicklung betrifft. Doch dies hat seinen Preis.
Wenn entwicklungsbedingte Bedürfnisse nach liebevoller Zuwendung und Gefühlsregulation fortgesetzt frustriert werden, wird das Kind notgedrungen versuchen, selbständig zurechtzukommen. Entsprechend der mangelnden Verfügbarkeit oder Vertrautheit sucht es weniger die Nähe oder Hilfe bei einer Bezugsperson. Es kann schon früh lernen, z. B. selbständig zu essen, sich anzuziehen oder sich alleine zu beschäftigen. Psychisch bedeutet das für ein Kind jedoch Bindungsverlust: es fühlt sich alleingelassen und nicht ausreichend angenommen bzw. wahrgenommen.
Manche Kinder strengen sich dann umso mehr an, um sich Zuwendung zu verdienen. Es fehlt dann das Grundgefühl, dass sie um ihrer selbst willen geliebt werden (Selbstwertproblematik). Manche Kinder passen sich auch an, um sich noch mehr Frustration oder Stress zu ersparen. In ihren Bedürfnissen und Gefühlen sind solche Kinder weitgehend sich selbst überlassen und finden zu wenig Trost und Verständnis. Das kann großen seelischen Stress auslösen. Die Beziehung zur eigenen Gefühlswelt wird beeinträchtigt und damit die Möglichkeit, zunehmend selbst die eigenen Gefühle zu regulieren.
Eine solch verfrühte Selbständigkeit kann die Ursache depressiver oder narzisstischer Entwicklungsstörungen mit Beziehungs-, Selbstwert-, Angst- und Aggressionsproblemen sein, welche sich meist erst in späteren Lebensjahren manifestieren. Diese Menschen sind in ihrem späteren Leben oft vergeblich darum bemüht, ihre frühen Mangelerfahrungen an Zugehörigkeit, Fürsorge oder Selbstbestätigung nachzuholen. Der Hunger danach ist später jedoch kaum zu stillen und die Selbstzweifel sitzen tief.
Sichere oder unsichere Bindungserfahrungen sind in den ersten drei Lebensjahren prägend. Sie bestimmen, ob ein Mensch mit einem Grundgefühl von Sicherheit und Selbstvertrauen und dem Gefühl, selbst etwas bewirken zu können ins Leben gehen kann oder aber mit Angstbereitschaft und Selbstzweifeln.
Das Grundgefühl von Geborgenheit, Verlässlichkeit, Kontinuität und Angenommensein ist die Basis dafür, dass er seine Anlagen und Fähigkeiten bestmöglich nutzen kann. Daher gilt in der Bindungs- und Hirnforschung: Bindung vor Bildung.
Im vierten Lebensjahr hat sich, je nach Charakter, Temperament und individueller Entwicklung des Kindes, seine Identität in der Regel so weit stabilisiert, dass es frei wird für längere Trennungen von seinen Eltern, bzw. vertrautesten Bindungspersonen. Ist seine Entwicklung im oben beschriebenen Sinne positiv verlaufen, kann es zunehmend auch Gefühle und Vorstellungen anderer wahrnehmen und wird frei für das soziale Miteinander, Spielen und Lernen in der Gruppe.
Noch einige Anmerkungen zu den Eltern:
Wenn das erste, oft schwierige Lebensjahr vorüber ist, werden die primären Bindungspersonen, idealerweise Mutter und Vater, im zweiten und dritten Lebensjahr nicht nur gefordert, sondern auch belohnt, wenn sie ihr Kind weitgehend selbst betreuen und sich intensiv auf die Beziehung mit ihm einlassen. Denn so können sie Anteil daran nehmen, wie sich die Fähigkeiten ihres Kindes, seine Freude daran und seine Persönlichkeit auf einmalige Weise entfalten. Wenn das Kind sich sicher gebunden fühlt, zeigt es nicht nur deutlicher seine schwierigen, sondern auch seine positiven Gefühle, wie Zuneigung und Freude. Je mehr sich die Eltern auf ihr Kind einlassen, desto besser kann sich ihr Kind auf seine Eltern einlassen und sich an ihnen orientieren. Beziehung und Erziehung stehen somit in engem Zusammenhang. Die ersten Jahre schaffen die Basis für eine auch noch später tragfähige Beziehung.
Selbstverständlich gibt es Eltern, die ihren Kindern schaden, weil sie sie in irgendeiner Weise missbrauchen, ein Suchtproblem oder sonstige schwere Erkrankungen haben. Krippenbetreuung kann in diesen Fällen Linderung bringen, da die Kleinkinder diesen Eltern nicht die ganze Zeit ausgesetzt sind. Verhindert werden können die negativen Einflüsse dieser Eltern auf diese Weise jedoch nicht. In solchen Fällen wäre den Kindern beispielsweise besser mit geeigneten Pflegeeltern gedient.
In der langjährigen therapeutischen Arbeit mit Eltern und ihren Kindern habe ich die Erfahrung gewonnen, dass sehr viele Eltern gerne Unterstützung annehmen. Es ist ihnen immer noch wichtig, Zeit für ihre Familie zu haben und eine gute Beziehung zu ihren Kindern zu pflegen. Informationen über die kindliche Entwicklung helfen ihnen, ihr Kind besser zu verstehen und oft sind sie auch bereit dazu, an sich selbst und ihren Einstellungen und Prägungen zu arbeiten.
Zur Situation in Krippen (Kita U3)
Manche Bindungsforscher, Therapeuten und Pädagogen nehmen an, dass die Identitäts- und Autonomieentwicklung auch mit anderen Bindungspersonen als den primären geleistet werden kann.
Sie vertreten folgende These: Wenn in der Krippe gewährleistet ist, dass das Kind eine gute Bindung zur BezugserzieherIn aufbauen kann, spreche nichts gegen Krippenbetreuung ab einem Jahr, da ein Kind ab diesem Alter in der Regel zu mehreren Personen eine Bindungsbeziehung aufbauen könne.
Dabei sind sie sich grundsätzlich darüber einig, dass für die Beziehung zwischen BezugserzieherIn und Kind folgende Forderungen gelten müssen, damit ein Kind in seiner Entwicklung nicht beeinträchtigt wird:
- Kontinuität in der Beziehung, möglichst keine Betreuerwechsel
- Anbieten von Geborgenheit und Sicherheit (Bindung) durch feinfühliges, empathisch-zugewandtes und promptes Beantworten der kindlichen Signale
- Achtsame, respektvolle Haltung gegenüber dem Kind
- Beziehungsvolle Pflege und Eingehen auf seine individuellen Bedürfnisse
Ich habe mir die Realität in verschiedenen Krippen in Stuttgart näher angeschaut, im „Musterländle Baden-Württemberg“, mit der nach der Bertelsmann-Studie bundesweit besten Betreuungssituation und einem offiziellen Personalschlüssel im Bereich der unter Dreijährigen (U3), von 1 ErzieherIn zu 3 Kindern.
Dafür habe ich einen Fragebogen entwickelt und mit mehreren Krippen-Leiterinnen und ErzieherInnen gesprochen, privat und offiziell, was oft ein Unterschied ist.
Dabei hat sich folgendes Bild ergeben:
- Der Kita-Ausbau für unter Dreijährige schreitet rasant voran. Die Einrichtungen werden immer größer, oft gibt es offene Gruppen – auch im U3-Bereich, die Nachfrage steigt enorm, ebenso die Betreuungszeiten.
- Es gibt kaum noch Halbtagsangebote, sie können meist gar nicht mehr gebucht werden. In städtischen Kitas in Stuttgart wurde beispielsweise angegeben, dass 90 Prozent der unter Dreijährigen acht bis neun Stunden täglich betreut werden, etliche auch zehn Stunden, dasselbe galt für unter Einjährige.
- Der Personalschlüssel 1 zu 3 hat sich nicht bestätigt – bei den meisten Trägern ist er bestenfalls 1 zu 4 bei Ein- bis Dreijährigen – brutto (dazu mehr weiter unten).
Weiter hat sich gezeigt:
- Häufige Betreuerwechsel sind in einer Krippe unvermeidbar. Neben einem hohen Krankenstand der ErzieherInnen gibt es in Kitas häufig Stellenwechsel, Teilzeit-Stellen, Abwanderung in andere Berufe.
- Ein enormer Mangel an (guten) ErzieherInnen wird beklagt, „Springer“ aus anderen Gruppen/Kitas werden eingesetzt.
- Selbst in Kitas, die davon weniger betroffen sind, ist ein Kind häufigen Betreuerwechseln ausgesetzt, weil „seine“ ErzieherIn gerade abwesend ist, z. B. aufgrund von Urlaubszeiten, Krankheit, Fortbildungen, Teambesprechungen, Elterngesprächen, Vor- und Nachbereitung, Organisation, Dokumentation, Gruppenwechsel, Schichtwechsel – wegen der langen Öffnungszeiten mit steigender Tendenz. „KitaPlus“ wird derzeit gefördert mit Öffnungszeiten rund um die Uhr, auch an Sonn- und Feiertagen. Der damit verbundene Schichtwechsel steigert den Betreuerwechsel noch weit mehr.
- Die angegebenen Personalschlüssel sind immer Brutto-Zahlen, also die Fehlzeiten und indirekt pädagogischen Arbeitszeiten sind darin eingeschlossen.
- Kontinuität und Verlässlichkeit sind daher in einer Kita nicht gegeben. Hinzu kommt, dass selbst bei einem guten Personalschlüssel von 1 zu 4, unter Berücksichtigung der oben genannten Fehlzeiten auf eine BetreuerIn ca. sieben Kleinkinder kommen – häufig auch mehr, wobei der Betreuerwechsel noch hinzukommt.
- Besonders einfühlsame und engagierte ErzieherInnen fühlen sich oft überfordert und sind frustriert, weil sie trotz größtem Einsatz spüren, dass sie neben der notwendigen körperlichen Pflege, den individuellen Bedürfnissen der Kleinen nicht ausreichend gerecht werden zu können. Gerade solche ErzieherInnen suchen sich dann häufig einen anderen Beruf.
- Aufgrund der mangelnden Kontinuität (Betreuerwechsel) und eingeschränkten Möglichkeit der achtsamen, einfühlsamen Zuwendung kann in der Krippe eine ausreichend intensive Bindungsbeziehung nicht aufgebaut und gehalten werden.
- Gleichaltrige („Kinder brauchen Kinder“) haben nicht die notwendige Reife z. B. zu gegenseitiger Gefühlsregulation (mit der notwendigen Einfühlung und emotionalen Stabilität), ganz im Gegenteil sind sie ihren unreifen Emotionen und Bedürfnissen gegenseitig ausgeliefert, was eine weitere Belastung bedeutet.
- In der Gruppensituation ist es oft laut, es gibt dauernd Bewegung und Ablenkung. So kann die Konzentrationsfähigkeit der Kinder beeinträchtigt werden und es besteht die Gefahr von Reizüberflutung.
- Das Kind muss sich zudem ständig auf neue Situationen und BetreuerInnen einstellen und anpassen, gerade in einer Phase der entwicklungsbedingten Ich-Bezogenheit, wo es darum gehen sollte, dass das Kind auf dem Boden einer sicheren Bindungsbeziehung seine eigene, noch unsichere Identität erfahren und seine Autonomie mit allen Gefühlen, die diesen Prozess begleiten, erfahren und erproben kann. Die Gefühlsäußerungen der Kinder sind in der Krippe jedoch tendenziell reduziert, sie zeigen sich meist brav und angepasst. Der innere Stress ist dadurch jedoch umso höher.
Oft werden in der Krippe schnell gelernte Fertigkeiten, wie z. B. selbständiges Essen oder Ankleiden oder, dass die Kleinen weniger die Nähe zu Erwachsenen oder deren Hilfe suchen, als Fortschritte in der Autonomieentwicklung interpretiert. Dagegen sind sie eher als notwendige Anpassungsleistungen zu verstehen (siehe dazu oben die Ausführungen zur Autonomieentwicklung, Gefühlsregulation und zu Anpassungsleistungen). - Es gibt kaum die Möglichkeit, die verschiedenen Erfahrungswelten – ganz besonders die in der Krippe und diejenige zu Hause – zu überbrücken bzw. zu verbinden. Ein Kind kann z.B. noch nicht verstehen, dass Mama oder Papa nicht wissen, was es in der Krippe erlebt hat. So kann es sehr irritiert sein, wenn sie nicht verstehen, was es ihnen davon mitteilen will. Die Erlebniswelten bleiben so weitgehend getrennt voneinander und können schwer zu einer Einheit zusammengefügt werden. Die Bildung einer kohärenten Persönlichkeitsstruktur kann dadurch erschwert werden.
Außerdem entfremden sich Eltern und Kind voneinander, da die Eltern weitgehend nicht daran teilnehmen, was das Kind erlebt. - In Kita-Fachkreisen wird häufig geäußert: In der Kinderkrippe kann Bindung nicht gelebt werden, das ist die Aufgabe von zu Hause. Diese Bindungserfahrung ist dann aber geprägt von Trennungserfahrungen mit Verlassenheitsängsten. Je jünger das Kind, desto weniger gut kann es die Zeit in der Krippe (je länger desto schlechter) emotional überbrücken. Solche Erfahrungen können traumatisch wirken.
Wollte eine Krippe – einschließlich der oben genannten Fehlzeiten und indirekt pädagogischen Arbeitszeiten – den Großteil der von den Fachleuten übereinstimmend geforderten Qualitätsansprüche erfüllen, würde noch weitaus mehr unmittelbar pädagogische Arbeitszeit der ErzieherIn mit den Kindern verlorengehen.
Hinter dem geforderten Eltern-ErzieherIn-Kind-Dreieck verbirgt sich beispielsweise ein regelmäßiger, intensiver Austausch zwischen BezugserzieherIn und Eltern über das Kind; des Weiteren Hausbesuche, regelmäßige Elternabende und weitere gemeinsame Aktivitäten wie Ausflüge und Feste.
Weiter wird neben regelmäßiger externer Fortbildung auch interne Fortbildung gefordert mit Supervision, pädagogischer Reflexion, sowie Selbst- und Team-Reflexion. Insgesamt würde das einen bedeutenden Anteil der Arbeitszeit ausmachen.
Um einen empfohlenen, tatsächlichen Betreuerschlüssel von 1 zu 3 zu erreichen, wäre das Brutto-Verhältnis ErzieherIn zu Kind dann etwa 1 zu 2, wenn nicht annähernd 1 zu 1. Bei einer Ganztagesbetreuung von acht bis neun Stunden hätte ein Kind dann immer noch zwei bis drei verschiedene Betreuer am Tag. Andernfalls dürfte die Krippe höchstens halbtags geöffnet sein, um ständige Betreuerwechsel zu verhindern.
Dies mag etwas zugespitzt klingen, aber solche genauen Betrachtungen machen uns deutlich, welch geringe Chance auf Realisierung die Aufzählungen von Qualitätsanforderungen haben, wie sie häufig genannt werden. Außerdem sind sie kaum zu finanzieren. Solche Forderungen oder Beschreibungen sind ja an sich richtig, sie wecken aber im Zusammenhang mit der Krippe/Kita oft nur falsche Erwartungen.
Siehe auch die Ergebnisse verschiedener Studien zur Qualität in Kitas
Als analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin habe ich in meiner 30-jährigen Arbeit erfahren, dass Trennungserfahrungen und mangelnde Zuwendung, besonders während der ersten drei Lebensjahre, oft Angststörungen oder andere schwer zugängliche psychische und gesundheitliche Beeinträchtigungen bei Jugendlichen und Erwachsenen (Eltern) verursachen.
Kleinen Kindern sind die psychischen Folgen von Trennungs- und Mangelerfahrungen, wie sie in der derzeit üblichen Krippenbetreuung zwangsläufig gegeben sind, oft noch nicht deutlich anzumerken. So kommen Studien – die sich auf die ersten Lebensjahre der Kinder beschränken – immer wieder zu dem Ergebnis, krippenbetreute Kleinkinder entwickelten sich grundsätzlich normal.
Siehe „Widersprüchlichkeit vieler empirischer Studien“
So widersprüchlich die Studien oft sind, so haben sie tendenziell die gleichen Aussagen, wenn sie die objektiv erfassbaren Messungen des Stresshormons Cortisol anwenden.
Siehe auf der Seite „Studien“: Stresshormon Cortisol und Neurobiologie
Schlussbemerkungen:
Was könnten die Konsequenzen sein?
Die Eltern sollten wahrheitsgemäß über diese Zusammenhänge informiert werden, damit sie die richtigen Entscheidungen treffen können, was die Betreuung ihrer Kinder betrifft. Dann wäre zu erwarten, dass sich wieder mehr Eltern für eine familiäre Lösung entscheiden würden. Außerfamiliäre Betreuung müsste dann den oben skizzierten Bedingungen entsprechen.
Eltern sollten die Wahlfreiheit zwischen familiärer und außerfamiliärer Betreuung haben, wozu von politischer Seite die wirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Bisher wird nach dem Elterngeld-Bezug im Wesentlichen nur die außerfamiliäre Betreuung in Form von Kita oder Tagespflege subventioniert.
Die Freistellung der Eltern vom Beruf sollte auf beide Eltern gleichermaßen verteilt werden können. Die Zeit soll nicht zurückgedreht werden zu fixierten Rollenzuschreibungen. Teilzeitarbeit soll für beide Elternteile für die gesamte Erziehungszeit begünstigt werden. Dann könnte man von Vereinbarkeit von Beruf und Familie sprechen.
Eltern sollten bedenken, was drei Jahre wertvolle Zeit für ihr Kind und ihre Beziehung zu ihm bedeuten, wenn sie das ins Verhältnis setzen zu ca. 40 Jahren Berufsleben. Solange keine besseren politischen Lösungen vorliegen, könnten evtl. materielle Ansprüche zurückgestellt werden. Auch könnten möglicherweise andere Betreuungsformen gefunden werden, evtl. in der Familie oder durch Vernetzung mit anderen jungen Familien.
Unterstützung der Eltern in psychologischer, pädagogischer und finanzieller Hinsicht, vor allem in den ersten drei Lebensjahren ihrer Kinder, könnte mit Recht „frühkindliche Förderung“ genannt werden. Dies wären zweifellos wirkungsvolle und nachhaltige Investitionen.