Studienergebnisse zur „Frühen Bildung“

Im Folgenden beschäftige ich mich mit der Frage, warum Ergebnisse mancher Studien Krippenbetreuung als frühe Bildung oder frühe Förderung beschreiben.

Dazu will ich einige einige tiefenpsychologische Überlegungen :

In den ersten 3 Lebensjahren sind Kinder von sich aus nicht motiviert dazu, sich von ihren primären Bindungspersonen, meist den Eltern, zu trennen und in die Krippe zu gehen. Im Gegenteil: wenn sie zuvor eine gute Bindung aufgebaut hatten, wehren sie sich mit Schreien und Anklammern dagegen. Denn für Kleinkinder bedeutet die Trennung von ihren Haupt-Bindungspersonen höchsten psychosozialen Stress vor allem, wenn sie keine verlässliche Ersatz-Bindungsperson haben, die ihre noch überwältigenden Emotionen und Bedürfnisse angemessen beruhigen kann[1].  Als eingewöhnt gelten die Kleinen, wenn sie resigniert haben und sich nicht mehr wehren. Sie passen sich dann notgedrungen an. 
Über frühe Anpassungsleistungen von Krippenkindern und deren Folgen empfehle ich Ihnen, sich über Anpassungsleistungen von Krippenkindern weiter zu informieren.
Wie Sie da im Einzelnen nachlesen können, gehen verfrühte Anpassungsleistungen unter anderem auf Kosten einer positiven, stabilen Selbst- und Selbstwert-Erfahrung, eines gesunden Stress-Regulationssystems sowie auf Kosten einer nachhaltigen Entwicklung von Autonomie- und Sozialkompetenz.

Die frühen Anpassungsleistungen, die die überforderten Kleinkinder notgedrungen leisten, werden von Erwachsenen i.d.R. positiv interpretiert als Fortschritte und Lernerfolge. 

Daher werden auch in Studien häufig Vorteile einer frühen außerfamiliären Gruppen-betreuung besonders für die kognitive, teilweise auch für die soziale Entwicklung in den ersten Lebensjahren veröffentlicht. 

Vor allem bei Elternbefragungen, die oft als wichtige Grundlagen bei der Datenerhebung für Studien dienen, kann man kaum von aussagekräftigen Aussagen ausgehen, denn Eltern sind befangen.
Die meisten von ihnen haben bemerkt, dass ihr Kind bei der Eingewöhnung gelitten hat – entweder gleich bei den ersten Trennungen oder teilweise einige Zeit danach, auch wenn es schon als eingewöhnt galt. Falls das Kind bis dahin eine gute Bindung hatte, kann es das auch zeigen. Die Eltern hören jedoch durchweg von den ErzieherInnen, dass das ganz normal sei und zur Autonomieentwicklung eben dazugehöre.  

Wenn das Kind keine sichere Bindung hatte bis dahin, kann es sich tendenziell leichter lösen, bzw. kann seinen Trennungsschmerz weniger empfinden oder ausdrücken. 

Wenn die Eltern weiter Schwierigkeiten damit haben ihr Kind abzugeben, weil sie wahrnehmen, wie es bei der Trennung leidet, hören sie durchweg, dass sie selbst das Problem seien, weil sie nicht loslassen könnten. Daher könne sich auch ihr Kind nicht lösen. 
Hinzu kommt der soziale Druck vom Umfeld.
Wenn das Kind aufgegeben hat sich zu wehren, wird das als Erfolg und die Eingewöhnung als abgeschlossen gewertet. 

Die Eltern beruhigen sich dann und Schuldgefühle bleiben oft im Verborgenen weiterbestehen. Im weiteren Verlauf wollen sie sich gerne darin bestätigt sehen, dass es richtig war, ihr Kind so früh abzugeben. Daher neigen sie dazu, selektiv solche „Bestätigungen“ wahrnehmen zu wollen.
(Unbewusste Schuldgefühle sind im Übrigen auch der Grund dafür, dass die Diskussion um Frühbetreuung so emotionsgeladen geführt wird.)

Das ist ein weiterer Grund dafür, dass Studien oft zu dem Ergebnis kommen, Frühbetreuung sei Frühe Bildung bzw. Frühe Förderung in den ersten Lebensjahren.


Was die nachhaltige, spätere Bildung von frühbetreuten Kindern betrifft, gibt es tendenziell zwei konträre Entwicklungsmöglichkeiten:

a) Manche Kinder/ Jugendliche strengen sich enorm an, um wenigstens im Leistungsbereich Anerkennung und Zuwendung zu erfahren. Viele solcher Patienten hatte ich in meiner Praxis, die als Kleinkinder zu wenig Zuwendung und Liebe erfahren hatten und sich dann im Leistungsbereich überforderten bis hin zu Versagensängsten, Panikattacken, Magersucht und anderen Störungen. Das waren dann allerdings letztendlich meist doch gute bis sehr gute Schüler. Auf diese Weise setzen die Krippenkinder später auch die früh gelernte, extreme Angepasstheit fort.

Bei diesen Kindern/Jugendlichen wird dann in Studien die Frühbetreuung als Bestätigung einer nachhaltig guten Bildungsfähigkeit gewertet. 

b) Dann gibt es wieder Kinder/Jugendliche, die z.B. aufgrund der frühen Fremdbetreuung, wegen Konzentrationsmängeln und ADHS (u.a. aufgrund der häufigen Ablenkungen und der Reizüberflutung) oder wegen sozialen Problemen schulisch größte Schwierigkeiten haben.

Manche Kinder gehen auch (im Gegensatz zu den verfrühten Anpassungsleistungen) in eine Verweigerungshaltung was u.a. auch die Leistung angeht. 

a) und b) wird in den Auswertungen von Studien sich ungefähr die Waage halten, sodass schließlich folgendes Ergebnis dabei herauskommt:

Früh fremdbetreute Kinder und familiär betreute Kleinkinder weisen später keine Unterschiede in der Leistungs- und Bildungsfähigkeit auf.

Das sind nur einige der Probleme von Studien: Die Durchschnittsbildung und das fehlende Hinterfragen von tiefenpsychologischen Ursachen und Hintergründen.

So gibt es tatsächlich mehrere Studien, die nachweisen wollen, dass die Krippenbetreuung sich bei den Kleinen Kindern als Bildungsvorteil erweist, was in späteren Jahren jedoch (zahlenmäßig) nicht mehr aufrecht gehalten werden kann.


[1] Ein kurzer Einblick in die derzeitige Krippensituation:
In der Krippe (Kita U3) kommen auf eine ErzieherIn, selbst bei einem „guten“ Personalschlüssel von 1: 3 mindestens 4-6 Säuglinge und Kleinkinder. Das liegt z.B. an den vielen Fehlzeiten wie Krankheit, Fortbildungen, Urlaub und an den pädagogischen Nebenzeiten wie Teambesprechungen, Elterngesprächen, Vor- und Nachbereitung, Organisation, Dokumentation uvm. Oft kommen wegen des enormen Fachkräftemangels real auf eine ErzieherIn 8, manchmal 10 Säuglinge und Kleinkinder, da in der Regel der Personalschlüssel höher ist als 1:3. Selbst engagierten ErzieherInnen mit viel Einfühlungsvermögen ist es schlicht unmöglich, jedem der Kleinen die Zuwendung und körperliche Nähe zu geben, die sie von einer erwachsenen Bezugsperson brauchen. Hinzu kommen die ständigen Betreuerwechsel. Denn bei ErzieherInnen sind Krankenstand, Stellenwechsel, Anteil der Teilzeit-Stellen und Abwanderung in andere Berufe besonders hoch, hinzu kommen Gruppenwechsel und Schichtwechsel der ErzieherInnen – je länger die Öffnungszeiten desto mehr. 
In einer Krippe kann ein Kleinkind kaum ausreichend Verlässlichkeit, verständnisvolle Zuwendung und Stress- bzw. Gefühlsregulation erfahren. Daher wurde bei Krippenkindern tendenziell eine erhöhte Stressbelastung festgestellt (weitere Informationen hierzu unter Cortisolstudien).
Unter solchen Umständen kann man kaum von früher Förderung sprechen. 
(siehe auch: https://gute-erste-kinderjahre.de/qualitaet-in-kitas/)