NUBBEK – Studie 2012, DKLK – Studien 2019 und 2020 zur Qualität in Kitas, Positionspapier der Fachkräfte-Verbände 2021, nifbe 2021
Nubbek-Studie
Schon bevor der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab einem Jahr umgesetzt wurde, stellte die NUBBEK-Studie aus dem Jahr 2012 fest, dass lediglich 3,2% der Kitas für unter 3-Jährige einen guten bis sehr guten Qualitätsstandard aufwiesen!
Bei der enorm steigenden Nachfrage nach Krippenplätzen mit steigenden Betreuungszeiten hat sich trotz des ständigen Ausbaus an Plätzen an diesem Ergebnis kaum etwas geändert, wie die folgenden Studien zeigen.
DKLK-Studie 2019
Ausgehend vom Deutschen Kita-Leitungs-Kongress im Herbst 2018 wurden 2628 Kita-Leitungen öffentlicher, kirchlicher, privat-gemeinnütziger, privat-nicht gemeinnütziger und sonstiger Träger in ganz Deutschland befragt zur Situation in Kitas.
Befragungszeitraum vom 15.11. bis 21.12. 2018 (14 Fragen online) (1)
Einige Ergebnisse der bundesweiten Umfrage:
Die Umfrage zeigt einen erheblichen Personalmangel in Kitas.
Es wird von „dramatischen und unhaltbaren Zuständen“ für die ErzieherInnen, wie für die Kinder gesprochen.
90 % der Kitas mussten in den vergangenen 12 Monaten zumindest zeitweise mit einer erheblichen Personalunterdeckung arbeiten.
Bei über 60 % großer Träger sind Arbeitsplätze nicht belegt und es braucht 3 – 6 und mehr Monate zur Nachbesetzung.
Zur Fachkraft-Kind-Relation:
Bei den Unter 3-Jährigen ist die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation (abzüglich der Fehl- und indirekt pädagogischen Arbeits-Zeiten, die im Personalschlüssen nicht berücksichtigt sind) in 96,5% der Fälle schlechter ist als die wissenschaftlich geforderte Zielgröße von 1:3. D.h. nur 3,5% entsprechen den Empfehlungen!
Selbst ein Verhältnis von 1:5 wird lediglich nicht einmal von der Hälfte (44,5 %) der Einrichtungen erreicht.
Ca. 20% der Einrichtungen können sogar nur eine Betreuungsrelation von 1:8 oder schlechter vorweisen.
Man stelle sich vor: Eine ErzieherIn für 5, 8 und sogar mehr Säuglinge und Kleinkinder! (Schon mit Zwillingen ist eine Mutter oft überfordert).
Auch bei den 3-6- Jährigen ist die Qualität in Kitas besorgniserregend: hier entsprechen fast 80% (78,7 %) der Kitas nicht der empfohlenen Fachkraft-Kind-Relation, sodass eine Fachkraft für mehr als acht Kinder zuständig ist. Es gibt auch durchaus Einrichtungen, in denen regelmäßig eine Fachkraft für 16, 18 oder 20 Kinder zuständig ist.
In 37,7% der Kitas kommt es sogar zu einer „Extrembelastung“, wobei es nicht mehr „nur“ um Einschränkungen der Betreuungsqualität, „sondern auch um Sicherheitsrisiken geht, weil eine adäquate Beaufsichtigung nicht mehr gewährleistet werden kann“.
Betreuungsangebot und -Qualität sind durch die aktuelle Personalsituation wesentlich beeinträchtigt.
Die DKLK-Studie spricht von „Minimalbetreuung“, einem nicht zu unterschätzenden Gesundheitsrisiko, von „Mangelverwaltung statt individueller Förderung“.
Eine ordnungsgemäße Betreuungssituation sei nur selten gegeben.
Zunehmende Bürokratisierung und Regulierung werden zudem als starke Belastung empfunden und gehen auf Kosten der pädagogischen Gestaltungsfreiheit.
Verheerend sind demnach die Konsequenzen:
Ein Großteil der Fachkräfte arbeiten an der Belastungsgrenze.
Gruppen mussten zusammengelegt oder ganz geschlossen, die Öffnungszeiten der Kitas reduziert werden.
Durch Maßnahmen wie die Reduzierung der Ausbildungszeit und durch das Anwerben von QuereinsteigerInnen sei ein Absinken des Qualifikationsniveaus zu befürchten.
DKLK-Studie 2020
Bei der DKLK-Studie 2020 wurden insgesamt 2795 Kitaleitungen in Deutschland befragt. Sie wurde im März 2020 veröffentlicht.
Dabei wurde deutlich, dass sich der Fachkräftemangel im Jahr 2019 weiterhin verschärft hat.
In mehr als 90% der Kitas können nicht alle Stellen besetzt werden.
Mehr als 90 % mussten in den vergangenen 12 Monaten zumindest zeitweise mit einer bedenklichen Personalunterdeckung arbeiten. Erhöhte Haftungsrisiken werden genannt. Wörtlich: „Die Ergebnisse zeigen, dass Personalknappheit in fast jeder Kindertageseinrichtung zumindest zeitweise zu Situationen führt, in denen selbst die Minimalanforderungen an die Aufsichtsführung kaum erfüllt sind.“ Und:
„In knapp 25 % (!) der Einrichtungen übersteigt der Personalmangel ein akzeptables Maß so deutlich, dass bei allen Verantwortlichen die Alarmglocken läuten müssten“.
69% bezeichnen die Arbeitsbelastung als akut gesundheitsgefährdend.
63% bezeichnen den Einsatz des Guten-Kita-Gesetz-Geldes als falsch eingesetzt.
Auf Fort- und Weiterbildung mussten 75% der ErzieherInnen verzichten wegen Personalmangel. Das gehe auf Kosten von Motivation und Qualität.
Die Befragten warnen weiter vor den Auswirkungen, die Einsparungen bei der Qualität der Ausbildung mit sich brächten. Es gehe um De-Professionalisierung in der Kindertagesbetreuung durch die geplante, verkürzte Fachassistent/innen-Ausbildung, statt um mehr Professionalisierung.
Diese Ergebnisse sprechen für sich:
Wie soll eine überlastete, gestresste Erzieherin auch noch individuell und möglichst mit Geduld und Liebe auf so viele Säuglinge und Kleinkinder angemessen eingehen können?
Nicht umsonst wird in der Studie von bloßer Verwahrung der Kinder, von Mangelverwaltung, und sogar von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken gesprochen.
Die Gründe sind unschwer zu erraten, warum die Wiff-Studie 2018 (Müller et al. 2018) folgende Ergebnisse erbrachte:
Fast ein Viertel der Fachkräfte verlässt innerhalb der ersten fünf Jahre nach Berufsstart das Arbeitsfeld wieder. Ein Drittel wechselt in diesem Zeitraum mindestens einmal die Stelle. Die Abwanderungsneigung der akademisch ausgebildeten Frühpädagoginnen und -pädagogen ist noch etwas größer.
Am Ende von Ausbildung und Studium gaben lediglich 54% der Erzieherinnen und Erzieher an, in der Kindertagesbetreuung arbeiten zu wollen. Bei den Kindheits-PädagogInnen lag der Anteil mit Wunschberuf Kita sogar nur bei 33%.
DJI-Studie (2017)
Nach einer Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) mit der TU Dortmund wird es bis 2025, selbst ohne Qualitätsverbesserungen, voraussichtlich eine Personallücke von insgesamt fast 330 000 Erzieher*innen geben. Wenn Qualitätsverbesserungen eingerechnet werden, wäre es sogar eine Personallücke von insgesamt ca. 600 000 Erzieher*innen. Wörtlich heißt es in der Studie: „… Es wären fast genauso viele, wie es heute schon gibt (…) eine Größenordnung, die unter den heutigen Rahmenbedingungen nicht wirklich vorstellbar ist.“
Bisher gibt es keine verlässliche Perspektive für eine Lösung des massiven Erzieher*innen- Mangels. Allein mit mehr Geld lässt sich der eklatante Fachkräftemangel vermutlich nicht schließen.
Die Corona-Pandemie aktualisierte die Probleme der unzureichenden Betreuung vor allem für die unter 3-Jährigen, die noch besonders auf Zuwendung, Sicherheit und Verlässlichkeit angewiesen sind. Die monatelange Schließung der Kitas und die gleichzeitige Verpflichtung der Eltern, im Home-Office oder am Arbeitsplatz weiterhin tätig sein zu müssen, verschärften die Überforderung und den Beziehungsstress in vielen Familien immens.
Allerdings profitierten auch viele Eltern und vor allem die Kleinkinder von mehr Familienzeit, wenn es die Umstände entsprechend erlaubten.
Die Kinder, die in der „Notbetreuung“ untergebracht sind, wurden durch diverse Corona-Auflagen mit wechselnden Gruppenzusammensetzungen, vermehrtem Wechsel und Ausfall von Personal, Masken- und Distanz-Geboten weiteren emotionalen Belastungen ausgesetzt.
So wurde unmittelbar sichtbar, dass Politik und Gesellschaft basale Entwicklungsvoraussetzungen für Kleinkinder wie emotionale Sicherheit und Halt sowie Empathie und Kontinuität in verlässlichen Beziehungen ausblendet.
Kitafachkräfte-Verbände der Länder (2021)
Im Sept. 2021 richten sich Kitafachkräfte-Verbände der Länder mit einem Positionspapier an die Politik, um erneut auf die Missstände in deutschen Kitas (U3 u. Ü3) hinzuweisen.
Sie machen auf den enormen Fachkräftemangel aufmerksam, beklagen u.a. zu große Gruppen, nicht adäquate Räumlichkeiten, zu lange Arbeitszeiten und fordern u.a. neben einem angemessenen Gehalt bessere Teamentwicklung, und Weiterbildungen.
Die Umstände führten zu gesteigerten Ausfällen wegen Krankheit, zu erhöhter Fluktuation und Betreuerwechsel. Nicht nur die ErzieherInnen, sondern auch die Kinder seien mit all dem überfordert.
Der Anteil der nicht kindgerechten Betreuung liege derzeit bundesweit (laut Bertelsmannstiftung) bei rd. 73%. Das heißt , dass ca. ¾ der Kinder in der Kita nicht kindgerecht betreut werden können!
Ganztagsbetreuung im Grundschulalter und Fachkräftemangel
In ihrer Pressemeldung weisen die Fachkräfte-Verbände darauf hin, dass das aktuell (Herbst 2021) beschlossene Gesetz zur Förderung der Ganztagsbetreuung im Grundschulalter neben dem schon bestehenden Fachkräfte-Mangel zu einer geradezu katastrophalen Betreuungssituation insgesamt führen könne.
Verletzendes Verhalten gegenüber Kindern in der Kita
Das „Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung“ nifbe
führt zu seinem diesjährigen Oktober-Newsletter einleitend aus,
dass die verschärften Be- und Überberlastungen der KiTa-Fachkräfte durch Corona die Gefahr bergen, dass verletzendes Verhalten gegenüber Kindern zunehme. Sie weisen darauf hin, dass schon vor Corona Untersuchungen (von Professorin A.Prengel und dem Projektnetz INTAKT) ergaben, dass rund ein Viertel der Interaktionen von Fachkräften als verletzend einzustufen sind. Darunter fallen vor allem psychische Verletzungen wie z.B. Beleidigungen, Herabsetzungen, Drohungen, negative Zuschreibung, Spott oder Ausgrenzung… (1/4 aller Interventionen!)
Problematisch sei auch, dass in der Kita verletzendes Verhalten i.d.R. verharmlost wird.
Wie sollen sich auch überforderte, gestresste Erzieherinnen den einzelnen Kindern liebevoll, einfühlsam, geduldig und individuell zuzuwenden können?
Eltern bleibt das alles allerdings verborgen – auch in der gängigen Presse ist von all dem nichts zu erfahren!
Aufruf von über 150 Professor:innen bezüglich des drohenden Kollaps des Systems der Frühbetreuung (2022):
https://www.eh-freiburg.de/wp-content/uploads/2022/09/Das_Kita_System_steht_vor_dem_Kollaps-Appell_der_Wissenschaft-31Aug2022.pdf
Quellenverzeichnis
- NUBBEK-Studie 2012, Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen KindheitFragestellungen und Ergebnisse im Überblick. W.Tietze, F.Becker-Stoll, J.Bensel, G.Haug-Schnabel et al.(Hrsg.)Siehe Seite 9, Schaubild 3
- DKLK-Studien 2019 und 2020: DKLK-Studien 2019 und 2020 sind Umfragen von Wolters Kluwer Deutschland in Kooperation mit dem Verband Bildung und Erziehung (VBE), dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), dem VBE Baden-Württemberg und dem VBE NRW. Wissenschaftliche Begleitung Prof. Dr. Ralf Haderlein, Hochschule Koblenz, Fachbereich Sozialwissenschaften. Erstveröffentlichung 27.03.19 und 05.03.2020
- WiFF Studien, Band 27. München, S. 34–41. (Müller et al. 2018). Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte.
http://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunftbildung/300367/fachkraefteabwanderung - DJI-Studie (2017) Studie des Deutschen Jugend-Instituts (DJI) mit der TU Dortmund, ISBN 978-3-9818832-1-3.
Autorschaft: Dr. Matthias Schilling, Dr. Christiane Meiner-Teubner
TU Dortmund. Fakultät 12 Forschungsverbund DJI/TU Dortmund Vogelpothsweg 78
44227 Dortmund.
matthias.schilling@tu-dortmund.de christiane.meiner@tu-dortmund.de
Thomas Rauschenbach, Matthias Schilling, Christiane Meiner-Teubner: ISBN 978-3-9818832-1-3 - Positionspapier der Kita-Fachkräfte-Verbände der Länder 09.21
(Positionspapier für eine Kita-Politik von Bund und Ländern in der Legislaturperiode 2021-2025) - Pressemeldung vom 09.09.2021:
Kita-Fachkräfte-Verbände warnen: zu wenig Personal in den Kitas! - Aus dem Anschreiben zum nifbe-Newsletter Oktober 2021