Viele Kinder werden inzwischen von Tagesmüttern betreut, besonders wenn sie noch sehr jung sind. Eltern wollen damit den Kindern die Fremdbetreuung erleichtern, da die Nachteile der Krippenbetreuung bei einer Tagesmutter nicht im gleichen Umfang vorhanden sind. So sind die Gruppen kleiner, was die Reizüberflutung der Kinder mindert. Es gibt keinen Personalwechsel, so dass sich die Kinder nicht laufend auf andere Betreuungspersonen einstellen müssen, es sei denn, es wird Krankheits- und Urlaubvertretung organisiert. Zudem ist von Vorteil, dass die Atmosphäre in der Tagesbetreuung einer familiären Umgebung ähnlicher als in einer Krippe.
Üblicherweise betreuen die Tagesmütter jeweils fünf Kinder meist täglich über mindestens 6, meistens 8 und höchstens 10 Stunden. Dies ist meist notwendig, damit die Tagesmütter/ -Väter davon einigermaßen leben können. Außerdem wird es in der Regel so von den Eltern gewünscht.
Trotz der Vorteile sind folgende Problempunkte zu bedenken:
- Auch diese Kinder haben (unter 3 Jahren) das Problem der zu frühen und oft (zu) langen Trennung von den Eltern, was in der Regel die Bindungsbeziehung zu den Eltern belastet. Unangemessene Trennungen von der Primären Bindungsperson (anfangs meist die Mutter) bedeuten aktuell hohen psychosozialen Stress und können langfristig Verlassenheitsängste, Trennungsängste und Selbstzweifel veranlagen.
Wenn dann ein Kleinkind zur Tagesmutter eine gute Bindung aufbauen konnte, endet diese Beziehung i.d.R. nach der doch eingeschränkten Zeit von ca. 2 Jahren (Tagesbetreuung meist zwischen dem 1. und 3. Geburtstag), was dann wieder eine belastende Trennungserfahrung bedeuten kann. Das ist bei familiärer Betreuung, beispielweise den Großeltern nicht der Fall, da diese weiterhin altersgemäße Beziehungen zu dem Kind pflegen können.
Auch ist zu bedenken, dass durch die frühen, täglich oft langen Trennung zwischen Eltern (meist der Hauptbindungsperson Mutter) und Kind, auch diesen die Möglichkeit genommen wird, mit ihrem Kind auf natürliche Weise vertraut zu werden, um auch ihrerseits eine positive, einfühlsame Bindungsbeziehung eingehen zu können. Denn eine gute, sichere Bindung braucht Zeit und verwirklicht sich in Gegenseitigkeit.
- Auch ist von Bedeutung, dass eine Tagesmutter bzw. Tagesvater in der Regel fünf Kinder unter 3 Jahren betreut, was naturgegeben keine Familie zu leisten hat. Selbst wenn eine Mutter Drillinge (oder Zwillinge) bekommt, ist sie möglichst auf Hilfe angewiesen, um den Grundbedürfnissen der Kleinen gerecht werden zu können, ohne selbst in Überforderung zu geraten. Denn Kleinkinder brauchen noch besonders viel individuelle Aufmerksamkeit, Zuwendung, körperliche Nähe und liebevolle, einfühlsame Gefühlsregulation. Sollten größere Geschwister in der Familie sein, sind diese schon selbstständiger und können -je nach Alter- teilweise sogar schon ein wenig an Zuwendung bzw. Fürsorge übernehmen.
Auch einer noch so gut ausgebildeten, begabten und liebevollen Tagesmutter ist es kaum möglich, jedem von fünf Kleinkindern die intensive Zuwendung, körperliche Nähe und Aufmerksamkeit zu geben, die es braucht. (zu den Grundbedürfnissen von Kleinkindern siehe auch: https://gute-erste-kinderjahre.de/videos-fruehe-entwicklung-und-foerderung/)
- Hinzu kommt, dass Kinder unter 3 Jahren aufgrund ihrer starken Bindungsbedürfnisse zu einer erwachsenen, verlässlichen Bezugsperson noch vorwiegend in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen.
Da die Tagesmütter nicht jedem der 5 Kleinen ausreichend gerecht werden können, bedeutet es, dass die Kinder sich weitgehend an den Gleichaltrigen orientieren. Dies kann sie überfordern, da sie emotional und in ihrem Verhalten noch unberechenbar sind und sich dadurch gegenseitig belasten. In diesem Alter können sie noch kein ausreichend reifes soziales Verständnis füreinander haben. (Sie sind emotional und sozial noch nicht reif zu einem ausdauernden gemeinsamen Spiel, wie es bei Kindern ab 3 bis 4 Jahren dann i.d.R. möglich ist.) Auch das ist geeignet, neben der Trennung von der Primären Bindungsperson, Stress zu erzeugen.
Unter Stress passen sich die Kleinen allerdings unbewusst an, was tendenziell von den Erwachsenen als angenehm empfunden wird und sogar häufig als „sozial“ interpretiert wird. Sie können hierzu gerne auf meiner Website nachlesen: (https://gute-erste-kinderjahre.de/entwicklungspsychologische-themen/kinder-brauchen-kinder/).
- Hinzu kommen weitere Punkte:
Das Essen wird meist aus der Großküche geliefert, das meist lange warmgehalten wird und daher wichtige, gesunde Nährstoffe verliert. Denn, wenn die Tagesmutter auch noch nebenher kocht, ist sie noch weniger verfügbar für jedes der fünf Kleinkinder.
Und was bedeutet es, 5 Kinder für draußen anzuziehen und nachher wieder aus? Wieviel überfordernde Anpassung müssen die Kleinen da leisten und wie hoch ist die Belastung für die Tagesmütter!
Und nicht nur da, sondern auch mit den Essens- und vor allem bei den Schlafenszeiten, ist eine Anpassungsleistung verlangt, die den jeweiligen, individuellen Bedürfnissen widersprechen und wiederum Stress bedeuten kann. - Ein weiterer Problempunkt kann hinzukommen, wenn zwischen einem Elternteil, meist der Mutter und Tagesmutter/-Vater Konkurrenzverhalten statt konstruktive Zusammenarbeit entsteht sollte, was nicht selten der Fall ist.
So gibt es auch in der Tagespflege teilweise Aspekte, welche die Kinder überfordern und Stress auslösen können, weshalb sie auch hier, ähnlich wie bei der Krippenbetreuung, auffälliges Verhalten zeigen können.(siehe hierzu auch: https://gute-erste-kinderjahre.de/anpassungsleistungen-von-krippenkindern-gisela-geist/)
Da besonders Kleinkinder eine hohe Anpassungsfähigkeit besitzen, zeigen sich Probleme und Symptome sehr oft erst in späteren Jahren.
Wenn Eltern jedoch sorgfältig prüfen, ob die Tagesmutter bereit und fähig dazu ist, eine gute Bindungsbeziehung zu ihrem Kind aufzubauen, wenn diese im kleinen Rahmen mit eingeschränkten Betreuungszeiten wenige Kinder betreut und insgesamt ihre Persönlichkeit und pädagogische Einstellung den Eltern zusagt, kann eine geeignete Tagespflege dennoch als gute Möglichkeit einer Ergänzung zur familiären Betreuung in den ersten Lebensjahren gelten.
Hier finden Sie ein gutes Beispiel für eine empfehlenswerte,
„Bedürfnisorientierte Tagesbetreuung“
Der Beitrag ist von Antonia Ulbrich, einer Tagesmutter in Stuttgart
Problemverhalten bei Tageskindern
ist ein Beitrag von der Erziehungswissenschaftlerin Dr. Erika Butzmann.
Sie leitet Fortbildungsgruppen für Tagesmütter und berichtet in diesem Beitrag aus dieser Arbeit, die unter anderem Aufschluss gibt über häufige Problemverhalten bei den Kindern, die früh und umfangreich in der derzeit üblichen Tagespflege betreut werden.
Gisela Geist, August 2023