„Klara haut andere Kinder“
Bericht einer Mutter,
die ihr Kind mit 10 Monaten in die Kinderkrippe gab und es nach zehn Monaten wieder herausnahm
(Interview mit einer Mutter von S. K. D. Sulz)
Mit zehn Monaten in die Krippe:
Ich habe meine Tochter mit zehn Monaten aus verschiedenen Gründen in die Krippe gegeben. Einmal aus dem Grund, da ich mich wirklich als „nur Mutter“ sehr überfordert gefühlt habe und sehr alleine. Und auch einfach, weil ich was anderes als „nur Mutter“ sein wollte und wenig Hilfe hier im Umkreis hatte. Auch keine große Familienunterstützung, niemand, der meine Tochter mal für – vielleicht – drei Stunden genommen und dann gesagt hätte: jetzt kannst du mal ganz entspannt duschen!
Ich hatte dann per Zufall einen tollen Job gesehen. Es war nicht geplant, meine Tochter mit zehn Monaten in die Krippe zu geben. Aber per Zufall hatte ich diesen Job gesehen, der mir die Chance gab, 20 Stunden pro Woche zu arbeiten und sie ca. 20 Stunden in die Kinderkrippe zu geben. So hätten wir noch ganz viel Zeit miteinander – dachte ich. Ich habe in diesem Job sehr viel verdient, und so für unsere Region einen guten finanziellen Rückhalt gehabt. Es war verlockend. Ich habe damals beim Besichtigen der Kinderkrippe, um meine Tochter eventuell dort anzumelden, Rotz und Wasser geheult, ohne zu verstehen warum.
Eingewöhnen:
Das war leider sehr hauruck-aktionsmäßig: Innerhalb von 14 Tagen haben sie meine Tochter eingewöhnt. Ich habe mich auf die Erzieher verlassen, die dann einfach gesagt haben: Jetzt gehen Sie einfach mal nach Hause! Sie kriegt es ja gerade nicht mit. – Und ich habe mein sehr gutes Bauchgefühl und mein schlechtes Gewissen hintenangestellt. Und habe mich jedes Mal beim Eingewöhnen gefragt: Ist das der richtige Weg? Tust du das Richtige oder tust du das Falsche? Habe aber entschieden, dass das der richtige Weg ist, obwohl es sich nicht richtig angefühlt hat. Aber meine Tochter schien es gut angenommen zu haben. Sie hat zwar schon ein- zweimal protestiert und auch geweint. Aber die Kindergärtnerinnen haben dann gesagt: Das ist normal. Sie hört dann gleich auf, wenn Sie weg sind.
Zur Feinfühligkeit der Erzieherinnen:
Die Kinder waren alle null bis drei Jahre alt.
Ein Mädchen saß am Boden und weinte die ganze Zeit. Sie machte das wohl häufig
Eine Erzieherin sagte, sie solle aufhören, ihre Show abzuziehen.
Meine Tochter wollte zu dem Kind gehen und es trösten. Dann kam sie wieder zu mir, weil sie das Weinen stresste. Dann habe ich, als Fremde das kleine Mädchen getröstet. Darauf die Erzieherin: Jetzt hat sie ja ihren Willen. Sie macht das immer, sie zieht ja nur eine Show ab.
Nicht nur dieses Kind wurde dabei verhöhnt, sondern auch ich. Aber mein sicheres Gefühl war, dass das kleine Kind Trost brauchte.
Ich habe viele Gespräche mit ErzieherInnen und LeiterInnen geführt, ohne auf Verständnis zu stoßen. Sie reagierten eher genervt und abwertend.
Vier Monate nach der Krippenzeit habe ich den Online-Kongress „Bedürfnisorientiert erziehen“ gesehen und habe dadurch ein paar Hintergrundinfos bekommen: Ich hatte also mein schlechtes Bauchgefühl zurecht, hatte es aber vollkommen ausgeblendet.
Einige Male blieb ich noch im Vorraum, bevor ich meine Tochter abgab. So konnte ich hören, wie lieblos die Erzieherinnen teilweise mit den Kindern umgingen. Wenn ich meine Tochter hinein begleitete, herrschte ein viel freundlicherer Ton, der auch noch anhielt, wenn ich wieder draußen war. Denn sie wussten, dass draußen eine Mutter ist.
Als ich das meinem Partner erzählte, sagte er: Das ist ja alles nicht so dramatisch. Wenn er unsere Tochter hinbringe, sei das nicht so.
Das Gefühl, dass es Klara nicht gut ging, wurde immer stärker.
Klara war sehr, sehr viel krank. Und ich war ebenfalls sehr viel krank. Es war eine immense Stressbelastung für uns beide.
Mein Kind wollte morgens nicht in die Krippe gehen:
Ich habe versucht, meinen Partner davon zu überzeugen, dass da irgendwas in der Kinderkrippe nicht stimmte, denn sie wollte sich morgens nicht anziehen. Unsere Tochter brauchte morgens mit dem Anziehen – mit viel Geschrei – fast zwei Stunden. Viele sagten: Das ist normal in dem Alter, dass sie sich nicht anziehen lassen. – Aber selbst, wenn ich ihr zwei Stunden Zeit gab und kooperativ versuchte, zu verhandeln: … sie wollte einfach nicht.
Das war für mich ein Zeichen: Sie will da nicht hin. Sie konnte das nicht verbalisieren, weil sie einfach noch nicht alt genug war, um zu sagen: Nein! Ich will da nicht hin! –
Auch wenn ich sie abholte, war es schwierig:
Ein trauriges, gestresstes Kind: den Eineinhalb-Kilometer-Weg nach Hause habe ich sie teilweise getragen, weil sie einfach bitterlich geweint und geschrien hat. Sie war nach der Kinderkrippe extrem anhänglich.
Ich habe sie dann nur noch vier Stunden pro Tag in die Krippe gegeben.
Man hat mir immer gesagt: Ja, wenn du als Mutter ein schlechtes Gefühl hast, übernimmt es das Kind. Ich habe mir lange Vorwürfe wegen dieses schlechten Gefühls gemacht und mir selbst gesagt, dass ich eigentlich der ausschlaggebende Punkt sei – das wurde mir einfach von außen ständig eingetrichtert.
Aber irgendwann habe ich entschieden: Egal, was passiert, ich nehme sie jetzt da raus!
Klara haut andere Kinder:
Die Bezugsbetreuerin hatte mir erzählt, dass Klara die anderen Kinder haue.
Deshalb wurde sie in den Kinderwagen gesetzt, direkt neben ihre Betreuerin. Weil meine Tochter es genoss, so nahe neben der Bezugsbetreuerin zu sitzen, ging diese weg von ihr. Denn es sollte eine Strafe sein, damit sie merke, dass sie etwas falsch gemacht habe! Klara hat dann geweint.
Sie haben auch erzählt, dass sie versuchten, Klara fernzuhalten von den anderen Kindern, weil sie eben aggressiv mit ihnen war. Sie separierten sie, anstatt daneben zu sitzen, mitzuspielen, zu vermitteln und aufzupassen, dass das nichts passierte!
Der Bick meiner Tochter:
Was ich im Nachhinein ausschlaggebend fand, war das Portfolio aus der Kinderkrippe mit Fotos von meiner Tochter. Ich habe gesehen, dass kein Leuchten mehr in ihren Augen war und dass sie anscheinend massiv unter Stress und Traurigkeit litt. Ich fand kein Bild, wo mein Kind gelächelt hat. Auch kein Bild mit neugierigem Blick, sondern mit Hab-Acht-Haltung-Schauen: … was passiert jetzt gleich wieder – ich muss gucken, dass ich überlebe! Solch ein Blick war teilweise auf den Fotos.
Sie sah auf den Fotos unheimlich traurig aus.
Zur Personalsituation:
Ich dachte mir: Es ist eine schöne Umgebung, wenn da gefeiert und Lieder gesungen werden, ist das doch wunderschön für mein Kind! Aber das war nicht der Fall. Es war eine Kindergruppe von 18 Kindern auf ca. 40 Quadratmeter zum Spielen. Es gab noch einen zweiten Schlafraum, der dann irgendwann für den Tagesbetrieb geöffnet wurde, nachdem es einfach zu viele Kinder waren. Es waren eigentlich drei Erzieher für 18 Kinder, aber es waren häufig nur zwei Erzieher da.
Zur Einschlafsituation:
Am Anfang war es okay, dass meine Tochter draußen im Kinderwagen schlafen durfte, weil sie einfach diese Geborgenheit, dieses Enge wollte und nicht zwischen den vielen anderen Kindern liegen wollte. In einem Elterngespräch, das eigentlich erst nach einem Jahr stattfindet – das ich aber nach einem halben Jahr eingefordert habe – hieß es: Ja, sie ist gut angekommen!
Dann habe ich gefragt, wie sie es hingekriegt haben, dass meine Tochter ohne Meckern einschläft. Na ja! Sie habe schon gemeckert, also sie habe schon geschrien.
Obwohl ich von vornherein gesagt hatte, ich möchte das nicht.
Sie haben also Klara meckern und schreien lassen, bis sie schließlich einschlief.
Daraufhin habe ich entschieden, Klara nicht mehr dort schlafen zu lassen, um ihr Stress zu ersparen.
Ich habe Klaras Betreuerin, die eigene Kinder hat, gefragt, wie sie das denn gemacht habe, dass Ihr Kind alleine schläft? Und sie sagte: Natürlich hat er oft Terror gemacht. Und dann hat er halt mal so lange geschrien, bis er gekotzt hat.
Verschiedene Gruppen pro Tag:
Eine Freundin bringt ihren Sohn morgens um sechs hin. Da sind die Gruppen-Erzieherinnen noch nicht da. Die kommen um 9.00 Uhr. Da ist er erst mal in einer zusammengewürfelten Großgruppe (ohne Bezugserzieherin). Ab 8.00 Uhr ist er in einer Gruppe, die früher anfängt (wieder ohne Bezugserzieherin) und ab 9.00 Uhr in seiner eigenen Gruppe.
Wechsel der Bezugsperson:
In der Gruppe meiner Tochter haben in zehn Monaten zwei Leute gewechselt, zwei Erzieherinnen sind geblieben. Die dritte Person ist einmal gekommen. Dann ist sie gleich wieder gegangen. Dann kam eine Neue, die ist schwanger geworden, die ist auch wieder gegangen. Und dann kam die Dritte. Und bei drei Leuten hat immer eine Urlaub oder ist krank.
Ohne Kinderkrippe:
Ich habe Klara dann mit zur Arbeit genommen. Ich habe an meiner Arbeitsstelle Erwachsene quasi zum Sport angeleitet – und meine Tochter auf dem Arm oder im Tragetuch gehalten.
Sie war vor der Krippe ein sehr aufgewecktes, lebhaftes Kind gewesen, freundlich und zugewandt. Sie ist auch gern zu den Menschen gegangen, die sie kannte. Wenn sie also vertraut mit ihnen war, ist sie auch auf deren Schoß gesessen oder hat mit ihnen gespielt.
Das war in der Kinderkrippen-Zeit nicht mehr möglich. Es war auch danach nicht mehr möglich.
Sie hat sich ansonsten eigentlich gut entwickelt. Sie hat eine gute Bindung zu uns, also so gut, dass ich mein Kind auch zur Oma geben und vier Stunden arbeiten gehen kann. Und meine Tochter weiß, dass ich arbeiten gehe. Sie ist traurig, wenn ich gehe. Ich lasse das zu, dass sie traurig ist. Sie sagt: Mama geht arbeiten und kommt zu Mittag wieder. – Ein großer Schritt für uns ist, dass sie jetzt besser verstehen und sprechen kann.
Ich merke deutlich, dass sie durch die Zeit mit mir zu Hause und durch die Zeit wo sie mit mir /an mir bei der Arbeit sein durfte, einen Riesenwandel gemacht hat. Alle meine Kollegen haben gesehen, dass Klara wieder freundlicher und offener geworden ist. Sie hat einfach wieder Vertrauen gefasst. Das hat über zwei Monate gebraucht.
Sie kann jetzt auch mal wo anders sein, wir können darüber sprechen und sie kann es besser verstehen. Aber sie ist die meiste Zeit mit mir zusammen und auch ab und an mit Papa.
Hier redet mir immer noch das Umfeld ein,
dass es nicht gut ist, dass mein Kind im Alter von zwei bis drei Jahren immer noch nicht in die Kinderkrippe geht. Die eigene Familie macht da auch nicht mit. Die Oma, die manchmal auf sie aufpasst, sagt immer: Sie muss unbedingt in die Kinderkrippe. Sie wird sonst verhaltensauffällig. Wir sind hier einfach so aufgewachsen, und ich bin hier ein Paradiesvogel mit meiner Einstellung -und immer noch allein damit.
Ich habe keine Erholungsmöglichkeiten zwischen Arbeit und Betreuung des Kindes. Aber es ist okay. Ich habe mich dafür entschieden und ich würde es jederzeit wieder so tun. Ich finde es tragisch, dass unsere Kinder so schnell resignieren. Das heißt, am Anfang meckern sie. Wenn sie aufhören, sagen die Eltern: Na! Kuck mal! Sagt doch gar nichts mehr. Funktioniert ja!
Ich war in derselben Kinderkrippe. Ich habe keine Erinnerung an die Krippe. Nach acht Wochen wurde ich in die Krippe gegeben. Es gibt hier kaum ein Kind, das nicht in der Krippe war.
Wir haben jetzt einen Mehrgenerationen-Treff gegründet und suchen dafür Räumlichkeiten.
Da können wir uns austauschen und gegenseitig unterstützen.
Aus:
Serge K. D. Sulz, Alfred Walter, Florian Sedlacek (Hrsg.)
Schadet die Kinderkrippe meinem Kind?
Worauf Eltern und Erzieherinnen achten und was sie tun können,
CIP-Medien, 2018, ISBN 978-3-86294-063-9
Mütter berichten über ihr Kind in der Kinderkrippe
Serge K. D. Sulz und Andrea Tichy
( etwas gekürzt und sprachlich bearbeitet von Gisela Geist)