Risiken früher Krippenbetreuung

Dr. Erika Butzmann

(Eine etwas verkürzte Version ist veröffentlicht in Erzieherin.de unter https://www.erzieherin.de/was-bedeutet-die-fruehe-krippenbetreuung-fuer-die-entwicklung-der-kinder.html)

Einleitung …………………………………………………………………………………………………………………1

1. Psycho-soziale und kognitive/geistige Entwicklung des Kindes in den ersten zwei Jahren ………………………………………………………………………………………………………………1

2. Was bedeuten diese Merkmale für eine frühe Krippenbetreuung?…………………………………9

3. Welche kurzfristigen und langfristigen Auswirkungen hat die frühe Krippenbetreuung (Forschungsergebnisse / gesellschaftliche Einflüsse in anderen Ländern mit früher Krippen- und Ganztagsbetreuung)? ………………………………………………..16

4. Wie muss, wenn es keine Alternative zur Krippenbetreuung gibt, mit negativem Verhalten der Kinder umgegangen werden? ……………………………………………………………….20

5. Welche und wie viel Fremdbetreuung ist in den ersten drei Jahren verträglich und welche Kinder sind durch frühe Fremdbetreuung besonders gefährdet? …………..21

6. Schlussbemerkungen ……………………………………………………………………………………………23

Literatur………………………………………………………………………………………………………………….24

Einleitung

Die frühe Fremd- und Krippenbetreuung wird inzwischen nicht mehr hinterfragt. Experten betonen unermüdlich die enorme Bildungsfähigkeit der Kinder in den ersten zwei Jahren, die offensichtlich nur in Krippen gefördert werden könne. Den Eltern wird die Fähigkeit dazu häufig abgesprochen. Man verweist auf die vielen Länder, die seit über 30 Jahren schon Krippenbetreuung praktizieren. Es werden jedoch die negativen Ergebnisse von Krippenstudien unterschlagen ebenso wie die Tatsache, dass es in Ländern mit langjähriger ganztägiger institutioneller Betreuung negativere gesellschaftliche Entwicklungen gibt als bei uns in Westdeutschland bisher. 

Bei Beachtung der Erkenntnisse aus diesen Ländern und Berücksichtigung des entwicklungspsychologischen Wissens werden aber die Belastungen und das Entwicklungsrisiko für kleine Kinder deutlich. Warum das so ist, will ich mit diesem Vortrag aufzeigen. 

Nach der Darstellung der besonderen Entwicklungsmerkmale in den ersten zwei Lebensjahren beschreibe ich, welche kurzfristigen und langfristigen Risiken bei früher Fremd- und Krippenbetreuung bestehen und welche Kinder unter günstigen Umständen damit umgehen können, und welche gar nicht. Die Auswirkungen der frühen Krippenbetreuung und Forschungsergebnisse dazu ergänzen dies. Was beachtet werden muss, wenn eine frühe Fremdbetreuung unumgänglich ist, werde ich abschließend behandeln.

Ich beginne mit der frühen psycho-sozialen Entwicklung und berücksichtige dabei die unterschiedliche Persönlichkeitsstruktur der Kinder, denn die spielt bei der frühen Fremdbetreuung eine große Rolle. 

1  Die psycho-soziale und geistige Entwicklung beim 1- bis 2-jährigen Kind oder: Welche Bedürfnisse hat das kleine Kind?

Mit der Gehirnentwicklung im Mutterleib beginnt das Kind zu lernen. Nach der Geburt führt das anfangs reflexhafte Lernen nach wenigen Wochen zu absichtsvollem Handeln, das begleitet ist von unbändiger Freude und Neugier – denn das ist der Motor der Entwicklung. Die innige Verbindung mit der Mutter während der Schwangerschaft wird vom Baby weiterhin als gegeben betrachtet. Das heißt, es empfindet sich bis ungefähr zum 6. Monat als eine Einheit mit der Mutter, es erlebt die Mutter wie ein Teil von sich selbst. Selbst das Herz-Kreislauf-System und der Hormonspiegel sind in dieser Zeit synchron (Kinderarzt Dr. Edert, Bremen 2012, Henzinger 2017).

In den ersten zwei bis drei Monaten nimmt das Kind die Mutter vorwiegend über den Geruch und das vertraute Gefühl wahr. Dann kann es auch den Blickkontakt herstellen, erkennt die Einzelheiten des Gesichts jedoch nur diffus. Das genaue Erkennen des Gesichts der Mutter ist zwischen 4 und 5 Monaten möglich, denn zu dieser Zeit entwickelt sich die Makula im Auge, der Punkt des schärfsten Sehens. Kurzfristig zeigen Babys danach in unterschiedlichem Ausmaß Angst vor Fremden, weil sie ein fremdes Gesicht jetzt deutlicher wahrnehmen als zuvor. (Ähnliches Verhalten zeigen Babys mit 3 bis 4 Monaten in Bezug auf das Gehör. Dies ist dann vollständig funktionsfähig und dann erschrecken sie plötzlich bei Geräuschen, auf die sie vorher kaum reagiert haben). Das Fremdeln kann sich kurzfristig auch auf den Vater beziehen, besonders wenn er häufiger nicht da ist. Wenn die Fremdel-Phase vorbei ist, interessiert sich das Kind für Fremde, wenn es ihm gutgeht. 

In der Folgezeit bekommt das Baby eine erste Ahnung davon, dass die Einheit mit der Mutter nicht sicher ist. Dies wird ihm deutlich, wenn es sich selbständig fortbewegt durch Wegrollen, Robben und Krabbeln. Das ist sehr aufregend und spannend für das Kind, es spürt aber gleichzeitig zum ersten Mal Trennungsängste, wenn es die Mutter nicht mehr sieht oder hört. Es versucht dann mit allen Mitteln, die Einheit mit der Mutter wiederherzustellen. 

Das je nach Temperament heftige Angstverhalten kommt zustande, weil das Baby zu diesem Zeitpunkt nochkein Vorstellungsgedächtnis hat. Das heißt, es hat noch kein inneres Bild von der Mutter, das es sich vorstellen kann, wenn diese nicht anwesend ist. Es erkennt in dieser Zeit lediglich die Mutter/den Vater wieder, wenn diese wieder auftauchen.

Ist die Mutter also nicht zu sehen oder zu hören, ist sie für das Kind weg aus seiner Welt. Die Angst kann in Panik ausarten, weil sich das Kind völlig alleingelassen fühlt. Nichts erzeugt so viel Stress im Gehirn eines Kleinkindes, wie das plötzliche Verschwinden der Mutter (Hüther 2003). Die Reaktionen der Kinder im Alter zwischen 8 und 18 (häufig bis 24/28) Monaten sind dann verständlich: Sie stehen schreiend vor der Toilettentür, wenn die Mutter dahinter verschwindet, sie krabbeln und laufen ihr überall hinterher und bekommen u. U. Schreianfälle, wenn diese das Haus verlässt, auch wenn eine andere Betreuungsperson da ist. Nicht alle Kinder reagieren so stark. Am stärksten davon betroffen sind diejenigen, die nicht den Schutz eines außenorientierten, also auch weitgehend angstfreien Temperaments haben. 

Die Psychologin Christine Rankl beschreibt diesen Zustand folgendermaßen: Das innere Bild der Mutter/des Vaters ist in dieser Zeit schwach ausgeprägt, vergleichbar mit einer Strichzeichnung im Sand. Dieses Bild ist nur so lange sichtbar, wie kein Wind aufkommt, also nur für kurze Zeit. Aufregung oder Müdigkeit lassen das Bild verschwinden. Deshalb muss das Kind sich immer wieder vergewissern, ob die Mutter da ist. Es dauert in der Regel zwei Jahre, bis das Vorstellungsgedächtnis voll ausgebildet ist. Auch danach ist es nicht in allen Situationen funktionsfähig. Unter Stress verschwinden die inneren Bilder. Erst mit drei Jahren ist das Bild von den Eltern bei den meisten Kindern wirklich stabil und belastbar fixiert. Darum gilt dieses Alter auch als ideal für den Eintritt in den Kindergarten!

In der öffentlichen Diskussion zu diesem Thema gibt es immer wieder die Behauptung, dass Kinder schon im ersten Lebensjahr Vorstellungen entwickeln, weil sie sich bereits vor dem ersten Geburtstag an Gegenstände erinnern, die sie nicht vor Augen haben, wie z. B. die Quietsche-Ente im Badezimmer. Unterschlagen wird dabei, dass die Entwicklung des Vorstellungsgedächtnisses mit dem Erinnern an Gegenstände nicht abgeschlossen ist. Mit ungefähr einem Jahr ist das innere Bild ein statisches: d. h. das Kind sieht das Badezimmer vor sich und die gelbe Ente auf dem Wannenrand. Sich ständig bewegende und äußerlich sich oft verändernde Objekte wie Mama und Papa lassen sich nicht so einfach als Bild speichern. Es sind anfangs mehrere Bilder, die zu einem einzigen zusammengefügt werden müssen. Es dauert mehr als zwei Jahre, bis das Kind das kann, und darin liegt das Problem. (Piaget 1990, S. 477; Scharlau 1996, S. 42) Die meisten Eltern kennen das; denn wenn sie einmal anders aussehen (nasse Haare, andere Frisur usw.), reagieren viele der Ein- bis Zweijährigen sonderbar darauf. 

Das Vollbild des oben geschilderten Angstverhaltens zeigen in erster Linie die Kinder mit einem eher angstbereiten, empfindsamen, sensiblen Temperament. Die anderen lassen sich mehr oder weniger schnell und gut beruhigen. Die außenorientierten und gegenstandsbezogenen Kinder bemerken im Spiel die Abwesenheit der Mutter oft erst bei Missgeschicken oder Müdigkeit. Es gibt jedoch nur wenige Kinder, die diese Trennungs- und Verlassenheitsangst gar nicht zeigen. Solche Kinder sind stark außenorientiert, haben keine erkennbaren Ängste, neigen aber schnell zu Wutanfällen. (Nach Aussagen der Neurobiologin Nicole Strüber ist dafür eine bestimmte Genvariante verantwortlich, die bei ca. 12 % der Kinder eines Jahrgangs vorliegt.)

Wenn allerdings die Mutter während der ersten zwei Jahre meistens anwesend war, werden diese Ängste auch bei den weniger außenorientierten Kindern selten hervorgerufen. 

Während der Zeit der Trennungs- und Verlassenheitsängste, d. h. zwischen 8 und 24 Monaten, stabilisiert sich die intensive emotionale Bindung des Kindes an die Eltern. Das Kind versucht unbewusst mit Klammerverhalten, die Einheit mit der Mutter immer wieder herzustellen, wenn ihm die Trennung bewusst wird. Gelingt dies, weil die Mutter zur Verfügung steht, entwickelt sich das notwendige Sicherheits- und Geborgenheitsgefühl, das die Neugier auf diese Welt in höchstem Maße fördert und die Entwicklung vorantreibt. Dies führt also nicht zur Verwöhnung des Kindes, sondern hilft ihm, die erkenntnismäßige Trennung von der Mutter im Laufe der nächsten Monate zu akzeptieren und zu ertragen, weil es die Sicherheit erworben hat, dass die Mutter da ist, wenn das Kind sie braucht. Dieser Prozess kann sich auch auf den Vater beziehen, wenn er von Anfang an das Kind meistens betreut hat. 

Wenn also die Eltern weitgehend feinfühlig (auf die Signale des Kindes eingehend, es nicht überfordernd) und liebevoll mit dem Kind umgegangen sind und die Mutter (der Vater) meistens verfügbar war, kommt die für das ganze Leben wichtige und tragende sichere Eltern-Kind-Bindung zustande. Diese sichere Bindung ist die Grundlage für Bildung im umfassenden Sinne. Unter solch positiven Bedingungen ist das Kind hoch motiviert, seine Umgebung zu erkunden und zu spielen, wodurch sich alle späteren Fähigkeiten in ersten Ansätzen ausbilden.

Da die erkenntnismäßige Trennung von der Mutter geschieht, hat der Vater während der Zeit der entwicklungsbedingten Trennungs- und Verlassenheitsängste oft keine Chance, das Kind zu trösten, wenn die Mutter anwesend ist. Es gelingt ihm jedoch meistens, wenn er mit dem Kind allein ist. 

Das hat weder etwas mit dem Verhalten des Vaters noch der Mutter zu tun. Es liegt ausschließlich daran, dass das Kind die zunehmende Erkenntnis verarbeiten muss, von der Mutter getrennt und ein eigenständiges Wesen zu sein. Der Vater kann den Prozess unterstützen, indem er sich von Anfang an mit dem Kind beschäftigt, mit ihm herumbalgt und spielt. Darüber entwickelt sich die Bindung des Kindes an den Vater, die es leichter macht, die erkenntnismäßige (also nicht gefühlsmäßige) Trennung von der Mutter zu bewältigen. Das zeigt jedoch auch, dass die Mutter für die meisten Kinder die primäre Bindungsperson ist; nur manchmal ist es auch der Vater. Die anderen Personen sind nachgeordnet, d. h. sie haben für das Kind jedoch nicht die hohe Bedeutung, wie die Eltern sie haben. Diese Personen stabilisieren das Kind jedoch zusätzlich.

Inzwischen ist aus der Hirnforschung bekannt, dass in der Anfangszeit des engen Mutter-Kind-Kontakts und des zärtlichen Körperkontakts zwischen Eltern und Kind das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet wird. Dieses Hormonsystem entwickelt sich im ersten Lebensjahr und festigt sich ebenso wie alle anderen Steuerungssysteme im Gehirn über einen längeren Zeitraum. Oxytocin ist u. a. die Basis für soziales Verhalten während des ganzen Lebens und für die Fähigkeit, sich später den eigenen Kindern gegenüber selbst fürsorglich zu verhalten. Ebenso stimuliert der enge Körperkontakt im Gehirn des Kindes Wachstumshormone. Das bedeutet, der liebevolle Körperkontakt fördert auch das Wachstum. 

Die sich öffentlich äußernden Wissenschaftler/innen gehen davon aus, dass die Bindungsentwicklung mit einem Jahr beim Kind abgeschlossen ist, weil man zu diesem Zeitpunkt das Bindungsverhalten in Laborsituationen erkennt. Das ist ein verhängnisvoller Trugschluss, denn die Bindungsentwicklung ist erst mit der sicheren Ausbildung des Vorstellungsgedächtnisses einigermaßen stabil. Dann weiß das Kind, wo die Mutter ist und dass sie immer wiederkommt. Und das ist erst zwischen eineinhalb und zwei Jahren der Fall, nämlich dann, wenn das Kind zu sprechen beginnt und „ich“ zu sich selbst sagt. 

Parallel zur Bindungsentwicklung und auf dieser Grundlage macht das Kind mit ungefähr einem Jahr einenstarken Entwicklungssprung. Es kann laufen und gerät dabei in eine Art Hochstimmung, weil es plötzlich so viel Neues über sich und die Umwelt wahrnimmt. Psychoanalytiker nennen diese Zeit die Liebesaffäre des Kindes mit der Welt. Damit ein solches Gefühl vom Kind erlebt werden kann, muss die Mutter als Sicherheitsbasis im Hintergrund zur Verfügung stehen; denn bei jedem Missgeschick sucht das Kind nur sie. 

Die sichere Bindung an die Eltern ist die Basis für den unbändigen Willen des Kindes, seine Umgebung zu erkunden. Das Kind ist ständig in Bewegung, fasst alles an, manipuliert alles Greifbare, ahmt seine Bezugspersonen ständig nach, probiert seinen Körper aus – solange es Energie hat. Das ist die Zeit der intensiven senso-motorischen Entwicklung, d. h. alles mit den Sinnen und über die Bewegung Wahrgenommene führt zusammen mit der Nachahmung zur Ausbildung der Gehirnstrukturen, die am Ende des zweiten Lebensjahres Vorstellungsgedächtnis, Denken und Sprache ermöglichen  –  also die Grundlagen der Intelligenz!

Wenn also die Entdeckungsfreude des Kindes möglichst wenig eingeschränkt wird und Mutter oder Vater als Sicherheitsbasis meistens vorhanden sind, bilden sich über diese Tätigkeiten ohne gezielte Förderung die Grundlagen zu allen wesentlichen Fähigkeiten aus, und zwar: 

All das passiert ausschließlich über das weitgehend ungestörte selbstbestimmte Spiel des Kindes. 

Bei Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Hirnforschung stimmen diese Aktivitäten des Kindes sehr genau mit den zuerst ausgebildeten Hirnbereichen für die 

sensorische Verarbeitung und die motorische Steuerung überein. Daraus entwickeln sich in der Folge die kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten.

Unter der Bedingung, dass sich das Kind sicher und geborgen fühlt, geschieht diese Entwicklung von ganz allein. Die normalen Dinge in einem Haushalt (Wäscheklammern, Behälter, Schachteln usw.) reichen neben einigen wenigen Spielsachen dafür aus. Der genetisch gesteuerte Erkundungsantrieb ist in der Regel so stark, dass keine spezielle Förderung notwendig ist. Babys und Kleinkinder, die mit Alltagsgegenständen experimentieren dürfen, sind sowohl geistig als auch feinmotorisch besser entwickelt als Kinder, die sich nur mit Spielzeug beschäftigen. Zudem sind sie zufriedener und ausgeglichener, denn diese Erkundungen machen sie stolz. Sie erfahren dadurch ihre direkte Lebenswelt, ihren Sicherheitsbereich. Das ist ein zutiefst verankertes Entwicklungsbedürfnis. Pädagogisch wertvolles Spielzeug in einer wenig vertrauten oder ungeliebten Umgebung kann das in dieser Zeit nicht leisten. Ganz sicher ist jedenfalls, dass sich Kleinstkinder zu Hause nicht langweilen, wie das von den Krippenbefürwortern immer behauptet wird. Auch in der kleinsten Hütte kann das Kind die notwendige Anregung finden, wenn die Eltern angemessen mit ihm umgehen.

Dazu ein kurzer wesentlicher entwicklungspsychologischer Hinweis: Wenn ein- bis zweijährige Kinder etwas Neues können – und das passiert ja dauernd, schauen sie immer strahlend Mutter oder Vater an, weil sie diese als „Spiegel “ für die eigenen positiven Gefühle brauchen. Strahlen die Eltern freudig zurück, kann das Kind unbefangen weitermachen. Dieses Verhalten ist eine wichtige Grundlage zur Leistungsmotivation, d. h. stehen die Eltern in dieser Zeit durch ganztägige Abwesenheit nicht als „Gefühls-Spiegel“ zur Verfügung, leidet darunter schon früh die Leistungsbereitschaft des Kindes.

Die Nachahmung spielt eine gleich wichtige Rolle wie der Erkundungsantrieb bei der Entwicklung des Kleinstkindes. Speziell über die Nachahmung entwickeln sich Vorstellungsfähigkeit und Sprache. Von Anfang an lernt das Kind durch Nachahmung. Es ahmt zuerst seine eigenen Handlungen, dann die der Bezugspersonen nach. Dafür sind auch wieder die tagtäglichen Handlungen, die das Kind beobachtet, wesentlich. Nachfolgend ein Beispiel für den Unterschied zwischen der Nachahmung einer bei der wichtigsten Bindungsperson gesehenen Handlung und der von außen initiierten Handlung:

Zum Programm von besonders guten Krippen gehört es, Kleinstkinder vor eine Leinwand zu stellen und ihnen Pinsel und Farbe in die Hand zu geben. Sie lernen dabei wenig, weil die Aktion nicht vom Kind selbst ausgeht. Auf den Fotos und in Filmen darüber wirken die Kinder auch ziemlich lustlos. 

Wenn allerdings das Kind eines Malers/einer Malerin zum Pinsel greift wie Mama oder Papa, ist es stark motiviert und freudig dabei, jede Bewegung genauso wie Papa oder Mama auszuführen. Das muss es dann aus der Erinnerung machen, das heißt aufgrund des inneren Bildes, das es von den Eltern bei der speziellen Tätigkeit im Kopf hat. Und das ist hoch emotional besetzt. Genau das trainiert das Vorstellungsgedächtnis beim Kind und die Denkfähigkeit insgesamt, denn Lernen funktioniert besonders gut bei positiven Gefühlen.

Das Nachahmungslernen und die Ausbildung des Vorstellungsgedächtnisses werden in den ersten zwei Jahren durch die primären Bindungspersonen, also die Mutter und den Vater, optimal gefördert. Natürlich lernen Kinder auch über die Nachahmung anderer, was durch die emotionale Bindung förderlich wirkt (Großeltern und andere Verwandte, Geschwister, beliebte Spielkameraden).

Nach der intensiven Lernphase über die Umwelterkundung und die Nachahmung stürzt das Kind gegen Ende des zweiten Lebensjahres in die erste Krise seines Lebens: Es erkennt sich zunehmend als eigenständige Person, die von der Mutter und der übrigen Welt getrennt existiert. Es schwankt zwischen Freude über sein Können und Panik aufgrund des Wissens, getrennt zu sein. Das hat bei vielen Kindern erneut Trennungs- und Verlassenheitsängste zur Folge, die sich in verstärktem Klammerverhalten und Schlafstörungen zeigen können. 

Wenn das Kind die Tatsache der Eigenständigkeit begriffen hat, sagt es „ich“ zu sich selbst und nennt sich nicht mehr beim Vornamen. Dann ist es ungefähr zwei Jahre alt. 

Zu dieser Zeit wird dem Kind der eigene Wille bewusst und es entwickelt nun Allmachtsgefühle. Es kommt zu höchst eigensinnigem Verhalten, das Ärger mit den Eltern nach sich zieht. Die Sache wird für das Kind nun kompliziert: Es hat Angst, die Eltern zu verlieren und allein zu sein. Es kann den eigenen Willen aber noch nicht bremsen und die Wutanfälle nicht regulieren, so dass die Eltern manchmal böse auf das Kind sind. Dass die Zwei- bis Dreijährigen große Probleme damit haben, zeigt sich am Verhalten nach einem Wutanfall: Fast alle Kinder kommen hinterher zu den Eltern und wollen wieder lieb sein. Sie brauchen die Liebe und Zuneigung der Eltern um jeden Preis, damit das Gefühl des Alleinseins sie nicht verschlingt. Gleichzeitig treibt das negative Verhalten des Kindes unbewusst die Ablösung von der Mutter voran.

Das ist jetzt also ein brennendes Thema für das Kleinkind, nachdem es erkannt hat, dass die absolute Einheit mit der Mutter eine Illusion war. Dieser zwischen 18 und 28 Monaten stattfindende wichtige Prozess, den die Psychologin Louise Kaplan als „zweite Geburt“ bezeichnet, ist nur mit den Eltern optimal möglich. Stehen sie nicht als Helfer für diese „zweite Geburt“ zur Verfügung, kann das negative Folgen, besonders für die Ich-Entwicklung und das soziale Verstehen des Kindes haben.

Zur gleichen Zeit bekommt das Kind zusätzlichen Ärger durch seine Ansicht, dass alles was es sieht, ihm gehört. Das häufigste Wort ist jetzt meins! Es tritt fast zeitgleich mit dem Wort „ich“ auf. Das Kind will alles haben und glaubt fest daran, dass ihm alles gehört. 

Für sein psychisches Gleichgewicht ist dieses Verhalten durchaus nötig: Denn wenn man sich bis dahin mit allen Personen und allen Dingen als eine Einheit in einer ‚ozeanischen Suppe‘ befand, muss man jetzt alles festhalten, was erkenntnismäßig zu verschwinden droht. D. h. das Kind nimmt jetzt alles als getrennt von sich selbst wahr und versucht damit umzugehen, indem es zuerst einmal die Dinge und die Mutter festhält.

Der Zeitraum des ständigen Einverleibens aller Dinge erstreckt sich über drei bis fünf Monate, je nach Umgang der Bezugspersonen mit dem kindlichen Verhalten. Wird das Kind häufig genötigt, Dinge abzugeben, verlängert sich die Phase. Es ist anzuraten, während dieser Zeit nicht das Teilen mit anderen Kindern zu üben und Kindergruppen zeitweise zu meiden oder die Spielgruppe zu verlassen, wenn das Kind sich zu sehr aufregt. Erst danach entwickelt sich das deutliche Interesse des Kindes an anderen Kindern. Sie geben dann ab, um ein Spiel aufrechtzuerhalten. Das funktioniert meistens erst, wenn das Kind das Wort „deins“ regelmäßig benutzt, d. h. wenn es die Bedeutung des Wortes erfasst hat. Das kann bis zum dritten Geburtstag dauern. Hat es zu viel Abgabe-Stress während der Zeit, „bunkert“ es unter Umständen auf Dauer. 

Das auffällige Verhalten der Zweijährigen in der „Meins-Phase“ zeigt: Das Kind kann jetzt nur vom eigenen Standpunkt aus denken. Dieses Denken wird als egozentrisch, eindimensional oder ichbezogen bezeichnetund ist bei den Zwei- bis Dreijährigen entwicklungsbedingt am stärksten. Sie halten sich für den Mittelpunkt der Welt. Der Standpunkt oder die Meinung des anderen ist für das Kind nicht begreifbar. Die Befindlichkeiten des anderen kommen zwar als Gefühlsansteckung bei den meisten Kindern an. Besonders auf Traurigkeit anderer reagieren sie schon sehr früh. Aber alles, was als Anforderung von außen kommt, kann das Kind kaum einordnen. Nur wenn es ihm gutgeht, macht es das, was gesagt wird, weil es den Eltern gefallen will bzw. weil es gefühlsmäßig von ihnen abhängt. 

Nach den Anforderungen von anderen in sogenannten Fremdensituationen richtet es sich allerdings, weil es sich unsicher fühlt, wenn die Eltern nicht da sind. Das ist eine Überlebensstrategie von kleinen Kindern in unsicheren Situationen. Sie verhindern mit dem angepassten Verhalten unbewusst zusätzliches Stressempfinden. Muss es sich über längere Zeiträume immer wieder anpassen, ist das Kleinkind im Alltag schnell überfordert und reagiert zu Hause mit Wutanfällen.

Die ausschließliche Ichbezogenheit im Denken der Kinder dieser Altersgruppe führt auch dazu, dass sie nur kurzzeitig mit anderen Kindern spielen können, weil sie glauben, dass alles, was sie sehen, ihnen gehört. In den ersten zwei Lebensjahren ist deshalb das Spiel des Kindes hauptsächlich auf sich selbst oder auf eine der Bindungspersonen bezogen. Ab zwei Jahren spielen die Kinder parallel nebeneinander und gucken nur, was der andere macht. Erst wenn die ausschließliche Ichbezogenheit zurückgeht (nach dem dritten Geburtstag), werden andere Kinder als Spielkameraden wichtig. Das Interesse, das schon Säuglinge an anderen Kindern zeigen, widerspricht dem nicht, denn in dieser Zeit sind die anderen Kinder interessante Objekte wie bewegliches Spielzeug, die nicht in Bezug auf sich selbst gesehen werden. 

In den ersten zwei bis drei Jahren ist also nicht das soziale Lernen das Hauptthema, wie das derzeit immer wieder behauptet wird, sondern das Kind muss sich erst selbst erkennen und sich in seine Umwelt einordnen. Erst dann sind genügend Kapazitäten frei für das soziale Lernen mit anderen.

Mit ca. zwei Jahren hat das Kind dann ein erstes inneres Gleichgewicht erreicht. Das ist aber noch keineswegs stabil. All die neuen Fähigkeiten müssen sich ohne Stress festigen können. Das kann nur im Schutz der Familie optimal geschehen. Dann sind die Kinder mit ca. drei Jahren fit und bereit für mehrstündiges Zusammensein mit Gleichaltrigen und anderen Betreuungspersonen.

Zum Abschluss dieses entwicklungspsychologischen Kapitels ein paar Worte zur Befindlichkeit von Müttern, denen in dieser Zeit „die Decke auf den Kopf fällt“: Die Psychologin A. K. Scherer formuliert das so: „Diese ersten zwei Jahre sind durch die Bedürfnisse des Kindes sehr anstrengend, manchmal langweilig und erfordern Verzicht und Selbstverleugnung, denn die ‚mütterliche‘ Zeit besteht aus Wiederholungen und rhythmischer Erwartungserfüllung. Sie wirkt dadurch im Vergleich zur beruflichen Arbeitszeit wie Zeit im Stillstand. Aber das vorübergehende Leben in diesem Kreisverkehr ist für die gesunde psychische Entwicklung des Kindes unverzichtbar.“ 

Die Aussagen der Neurobiologen bestätigen das, denn das gefühlsmäßige Lernen in dieser Zeit verläuft unbewusst, also ohne kognitive Kontrolle. Gleichzeitig sind die in den ersten Lebensjahren erlebten Gefühle im Gehirn als Erfahrung gespeichert und steuern späteres Verhalten (Roth 2001).

Zu den Besonderheiten dieser ersten drei Jahre sagen Psychoanalytiker zusammenfassend Folgendes: Während der ersten 36 Monate ist das Kind wegen seiner körperlichen und seelischen Verletzlichkeit ganz besonders auf eine schützende und stabile Umgebung angewiesen. Es bindet sich an die Menschen, die ihm am verlässlichsten zur Verfügung stehen. Bindung ist für das Kind eine Überlebensnotwendigkeit. Sie bildet die Grundlage für sein Selbstwertgefühl und seine Fähigkeit, tragfähige Beziehungen aufzubauen. Seine emotionale und kognitive Entwicklung wird in der frühen Kindheit durch die Stabilität seiner Beziehungen gefördert. Einfühlung in seine Bedürfnisse, Verfügbarkeit der verlässlichen Bezugsperson, regelmäßige Alltagsstrukturen helfen dem Kind, ein „Urvertrauen“, das genau in dieser Zeit erworben wird und eben nicht angeboren ist, zu gewinnen. Erst langsam entwickelt das Kind die Fähigkeit, die Abwesenheit der Eltern innerseelisch zu verkraften, indem es sich an sie erinnern und an sie denken kann.

2  Was bedeuten die geschilderten Entwicklungsmerkmale für eine frühe 

    vielstündige Krippen- und Fremdbetreuung?

Zu dem Zeitpunkt, wo die meisten Kinder in die Krippe kommen, also mit 12 oder 14 Monaten, ist die Bewältigung der erkenntnismäßigen Trennung von der Mutter die vordringlichste Entwicklungsaufgabe für das Kind. Gleichzeitig stabilisiert sich die sichere Bindung an die Mutter. Das kann jedoch nicht gelingen, wenn sie bei diesem bis mindestens zum zweiten Geburtstag andauernden Prozess nur wenig anwesend ist. Das Kind muss diesen über die Gefühle gesteuerten Prozess konkret erfahren und kann ihn nicht abstrakt im Kopf vollziehen. Das Krippenkind wird damit in seiner Ich-Entwicklung gleich zu Beginn eingeschränkt. 

Die im ersten Lebensjahr und während des Ablöseprozesses auftretenden Trennungs- und Verlassenheitsängste sind gerade in der Zeit zwischen 8 und 16 Monaten besonders stark und flammen danach immer wieder auf. Sie sind die Hauptursache für die in allen Untersuchungen festgestellte Stressbelastung der Krip-penkinder. Unter Stress verschwinden die inneren Bilder der Eltern, und die Angst wird dann übermächtig. (Das passiert auch den älteren Kindern noch, wenn sie unter Stress stehen). Über die Auswirkungen dieser unzeitigen Trennungserfahrungen gibt es umfangreiche Literatur (z. B.: Israel / Kerz-Rühling 2008, Götze 2011 und 2019, Scheerer 2011, Böhm 2012, Sulz u. a. 2018). Besonders bei sensiblen Kindern kann das dazu führen, dass sie weit über die normale Zeit hinaus Klammerverhalten zeigen. Klammerverhalten ist Bindungsverhalten. Bei diesen Kindern ist das Gefühl der Sicherheit nicht stabil, was sie in ihrer Selbstständigkeitsentwicklung schon zu Beginn behindert. Solche Kinder haben lt. Strüber (2016, S. 64f) eine bestimmte Genvariante (S-Variante), die sie hochempfindlich auf Belastungen durch die Umwelt reagieren lassen. Die Kinder mit der anderen, der L-Gen-Variante, sind weniger von den hier beschriebenen Risiken der frühen Krippenbetreuung belastet. Je nach sonstigen Umweltbedingungen vertragen sie mehr als die Mehrheit der Kinder.

Kinder sind in den ersten zwei Jahren entwicklungsbedingt nicht in der Lage, sich mehrere Stunden auf viele Spielpartner und Aktionen einzustellen. Die senso-motorische Entwicklung benötigt ruhigen Raum, der vom Kind selbstgesteuert erkundet werden muss, damit sich alle Fähigkeiten ungestört entwickeln können, denn die kognitive Entwicklung verläuft über die Senso-Motorik. In der Krippe wird der Erkundungsdrang vom Kind nicht voll ausgelebt, wenn es sich nicht wohlfühlt oder zu wenig Raum zur Verfügung steht. 

Ein weiterer Grund für Stressbelastungen ist die Reizüberflutung. Die im ersten und zweiten Lebensjahr noch ungefilterte Reizoffenheit der Kinder kann zu einer Schwächung der Wahrnehmungskraft führen. Wenn Kinder im frühen Alter mit einer zu großen Reizflut in Berührung kommen und sie die Umwelt als überfordernd, wenig fassbar und verlässlich erleben, führt das u.U. dazu, dass psychische Strukturen gar nicht erst aufgebaut werden.

Die Kinder können aufgrund des noch nicht voll ausgebildeten Ichbewusstseins der Reiz-Flut nichts entgegensetzen, sie können sich also noch nicht davor schützen. In der Folge besteht die Gefahr, Konzentrationsprobleme zu entwickeln (Ahrbeck 2008, 702-705).

Darüber hinaus verursachen die oben geschilderten Entwicklungsmerkmale der Ichbezogenheit und der ‚Meins-Phase‘ der Eineinhalb- bis Zweijährigen den Kindern zusätzlichen Stress, da sie dies in der Krippensituation kaum ausleben. Denn aufgrund des latenten Unsicherheitsgefühls besonders beim ruhigeren Krippenkind hält es sich hier, so gut es kann, zurück. Es versucht damit, sein inneres Gleichgewicht einigermaßen zu halten, was für diese Kinder sehr anstrengend ist.  Das führt zum inneren Rückzug, der die Ichbezogenheit verfestigt und soziales Lernen verhindert.

In der Krippe zeigen die unter Zweijährigen eher ein vermeintlich soziales Verhalten, das zu diesem Zeitpunkt jedoch eine „Überlebensstrategie“ ist: Sie bestehen in der „Meins-Phase“ nicht auf den Dingen, sondern trösten bei Traurigkeit eines anderen Kindes dieses mit seinem Lieblingsspielzeug. Vor dem Icherkennen reagieren die meisten Kinder impulsmäßig auf Traurigkeit und Weinen eines anderen, weil die Gefühlsansteckung das Kind stark beeinträchtigt. Es versucht dann, das Gefühl an der Quelle abzustellen (Bischof-Köhler 1989, S. 158). Es tröstet den anderen, so wie es selbst getröstet wird. Insofern ist das kein bewusstes soziales Verhalten, das einen Lerneffekt für später hat.

Diese Ansammlung von Stressbelastungen ist der Grund für die übermäßig häufigen Erkrankungen von Krippenkindern. Darüber hinaus gibt es inzwischen psychische Auffälligkeiten bei diesen Kleinkindern: In meiner Beratungspraxis wird von Eltern immer wieder berichtet, dass ihre Krippenkinder stereotypes Verhalten zeigen (mit wütendem Gesicht immer die gleiche Handlung vollziehen oder mit extremem Geschrei die Eltern zu bestimmten Handlungen zwingen). In solchen Fällen stehen die Kinder so stark unter Stress, dass sie sich in dieser Weise verhalten müssen.

Bei früher Ganztagsbetreuung, besonders bereits im ersten Lebensjahr, besteht zusätzlich die Gefahr der Bindungsstörung, die das weitere Leben des Kindes erheblich beeinträchtigt. Die Bindungsentwicklung ist, wie oben ausgeführt, neben dem liebevollen Umgang mit dem Kind auf die weitgehende Anwesenheit besonders der Mutter in den ersten zwei bis drei Jahren angewiesen, – und zwar wegen des fehlenden Vorstellungsgedächtnisses im ersten Jahr, dem wenig stabilen Vorstellungsgedächtnis im zweiten Jahr und der Stabilisierung der bisher erworbenen Fähigkeiten im dritten Jahr. Wie sich die Bindung zwischen Mutter und Kind in den ersten vier Jahren im einzelnen vollzieht, beschreibt die Humanethologin Ursula Henzinger an vielen kleinen gemeinsamen Alltagssituationen.

Auch wenn in der öffentlichen Diskussion das ignoriert oder durch manche Experten verneint wird, zeigen die Ergebnisse aus der vielzitierten amerikanischen Langzeit-Studie (National Institute of Child Health and Human Development*) zur frühen Krippen- und Fremdbetreuung ein anderes Bild. Bei den früh und vielstündig (mehr als 10 Stunden/Woche) krippenbetreuten Kindern gibt es im Kindergarten- und Schulalter Verhaltensauffälligkeiten, die auf Bindungsstörungen hinweisen: Sie sind bockiger, frecher, ungehorsamer und aggressiver als vergleichbare Familienkinder (Für eine deutsche Studie dazu s. Schulz / Wulfes in Sulz u. a. 2018, S. 121-138).

Dieses negative Verhalten wird von Bindungsforschern als unsicher-ambivalentes Bindungsmuster bezeichnet. Kinder mit diesem Bindungsmuster sind durch das Elternverhalten ständig hin- und hergerissen, weil sie nicht sicher sind, ob sie geliebt werden. Das Bindungsmuster kommt normalerweise zustande, wenn Eltern in ihrem Erziehungsverhalten stark widersprüchlich sind, d. h. sich einmal übermäßig liebevoll und nachgiebig und dann wieder heftig abweisend und strafend verhalten. Es kommt aber auch zustande durch ständige Enttäuschungen beim Kind, wenn die Eltern sich nicht kümmern und nicht da sind, wenn das Kind sie braucht. Bei früher Krippen- und Fremdbetreuung kommt es zwangsläufig zu solchen Situationen, wenn das Kind seine Eltern vermisst. Da das kleine Kind nicht verstehen kann, warum die Eltern nicht da sind, sammelt es negative Gefühle an, die es zu Hause an den Eltern und später an den Geschwistern und Spielkameraden abreagiert. Können die Eltern dauerhaft nicht angemessen damit umgehen, entsteht eine unsicher-ambivalente Bindung.

Aus einer deutschen Untersuchung im Jahr 2000 zu den Auswirkungen früher Krippenbetreuung geht genau das hervor: Die Kinder zeigten negatives Verhalten gegenüber den Müttern beim Abholen aus der Krippe, und diese gingen nicht angemessen damit um. Das haben die Forscherinnen (Ahnert u. a. 2000) festgestellt, ohne dies zu kommentieren.

Da die Kinder, je nach Temperament, beim oben beschriebenen Ablöseprozess unterschiedlich ausgeprägte Bedürfnisse nach der Mutter/den Eltern haben, sind sie auch unterschiedlich stark durch Fremdbetreuung belastet. 

Die hochsensiblen, eher ängstlichen Kinder, die starkes Klammerverhalten zeigen, vertragen die Fremdbetreuung vor dem 3. Geburtstag gar nicht. Leider sind es auch diejenigen, die am wenigsten protestieren. Sie suchen sich in der Krippe eine andere Bezugsperson, an die sie sich anklammern. Wenn das nicht gelingt, weil z. B. keine der Mutter ähnliche Erzieherin da ist oder die Erzieherinnen zu wenig Zeit haben, verhalten sie sich still und ziehen sich zurück, um nicht noch mehr Stress zu haben. Diese Kinder sind unbewusst mit der Aufrechterhaltung ihres inneren Gleichgewichts beschäftigt. Wenn Kinder keine Sicherheit haben, suchen sie nur die und brauchen ihre ganze Energie dafür. Bei solch ruhigen, distanzierten Kindern wurde bei Untersuchungen zur Krippenbetreuung der höchste Stresspegel festgestellt (z. B. Wiener Krippenstudie von Ahnert u. a.). Das ist nicht verwunderlich, da Kleinkinder noch kein Stressbewältigungssystem haben, sondern nur reflexartig auf Stress reagieren (Babys wenden den Blick ab, Kleinkinder werden sehr unruhig oder ziehen sich zurück). 

Von den Erwachsenen wird dieses Verhalten oft als Gewöhnung gedeutet und positiv gesehen, es ist aber das kritischste Verhalten. Es sind reine Überlebensstrategien des Kindes, die Spiel- und Erkundungsverhalten verhindern oder einschränken. Eine gesunde geistige und psychische Entwicklung ist so nicht möglich. Diese Kinder funktionieren und lernen, ihre Gefühle zu unterdrücken, um sich anzupassen. Bei sensiblen und ängstlichen Kleinkindern heißt das, sie lernen bei Kummer nicht zu weinen, bei Einsamkeit still zu sein, sich schnell beruhigen zu lassen (Scheerer 2011). In der Wiener Krippenstudie waren 20 % der Kinder davon betroffen.

Die außenorientierten, eher aggressionsbereiten Kinder protestieren entweder heftig gegen das Allein-gelassen-werden oder sie stürzen sich ins Getümmel, weil sie interessante Sachen sehen. Diese Kinder profitieren u. U. von einer halbtägigen guten Krippenbetreuung, wenn sie sehr gegenstandsbezogen, Personen für sie nicht so wichtig oder fremde Personen besonders interessant für sie sind. Diese Kinder haben eine bestimmte Genvariante, die sie unempfindlicher gegenüber Belastungen macht (Strüber 2016, S. 54f). Ob die Belastung für das Kind wirklich gering und verträglich ist, zeigt sich aber erst zu Hause oder wenn es abgeholt wird: Ist das Kind fröhlich, freut sich über das Erscheinen der Eltern und ist auch zu Hause weitgehend friedlich und das an den meisten Tagen, dann geht es ihm mit der Krippenbetreuung gut. Kinder mit einem solchen außenorientierten und ausgeglichenen Temperament sind allerdings selten. Diese Kinder sind jedoch belastet durch den eingeschränkten Erkundungsraum in der Krippe und die geringeren Bewegungsmöglichkeiten bei Ausflügen im Krippenwagen.

Die mit dem Laufenlernen einsetzende starke Lernbereitschaft wird häufig als positive Reaktion in der Krippensituation wahrgenommen. In der häuslichen Umgebung in Gegenwart der primären Bindungsperson wirkt dieser natürliche Antrieb jedoch um ein Vielfaches stärker. Es ist die Phase der „Liebesaffaire mit der Welt“ (Kaplan 1987), die das Kind zeitweise die Eltern vergessen lässt, solange es ihm gutgeht. Diese Phase führt zu starken Entwicklungsfortschritten, die in jeder Situation wirksam werden, in denen sich die Kinder wohlfühlen.

In Berliner Tagesstätten wurden im Jahr 2000 mehrere Untersuchungen zur Belastung von Einjährigen bei Krippenbetreuung gemacht: Im Durchschnitt hat es vier Monate gedauert, bis der Stresspegel bei den meisten Kindern wieder auf dem Niveau von vorher war! Vier Monate (die Kinder wurden ganztags betreut) von 15 Monaten Lebenszeit heftiger Stress! Dieses bemerkenswerte Ergebnis wurde von den Expertinnen (Ahnert u. a. 2000) festgestellt, aber nicht kommentiert! 

Dass der Stress durch die Aktivierung des biologischen Bindungssystems beim Kind entsteht, weil die Bindungsperson nicht erreichbar ist, und dass Vertröstungen bis zum Mittag oder Abend nicht greifen, wurde nicht erwähnt. Dabei führt die häufige und anhaltende Aktivierung des Stress-Systems beim Kleinkind zu erhöhter Krankheitsanfälligkeit und durch Veränderungen im Neurotransmittersystem zu erhöhter Stressanfälligkeit auch im späteren Alter (s. Roth 2015, S. 127f)! Mehrere neue Untersuchungen hier und in Schweden zeigen die erhöhte Neigung zu Ekzemen bei Krippenkindern und die dreifach höhere Anzahl von später auftretendem ADHS. Beim Kinderärztekongress 9/2011 in Bielefeld wurde über Stressbelastung von Krippenkindern und die Folgen ausführlich berichtet (s. auch Artikel in der FAZ vom 4.4.2012: „Die dunkle Seite der Kindheit“ von Dr. Rainer Böhm). Ebenso gibt es inzwischen Nachweise über die Verringerung der Knochenstabilität bei Kindern durch das Erleben von anhaltendem Stress (Seiler 2014).

(Vortrag des Neurobiologen Gerhardt Roth bei der Tagung „Stellt die frühe Kindheit Weichen?“ in Heidelberg 2015: Das Stressverarbeitungssystem benötigt mindestens 3 Jahre, bis es einigermaßen stabil ist. Bei anhaltendem moderatem Stress in der frühen Kindheit entstehen später Ängstlichkeit, Depressionen und Angsterkrankungen.)

Mit der im Jahr 2012 abgeschlossenen Wiener Krippenstudie (Ahnert u. a.) wird die hohe Stressbelastung bei Krippenkindern, insbesondere bei Ganztagsbetreuung, erneut bestätigt. Aber auch hier wird – wie bei allen öffentlichen Äußerungen zu dem Thema – diese Belastung auf die schlechte Ausbildung der Erzieherinnen zurückgeführt (sie würden den Stress der Kinder nicht beachten). Es wurde nicht gesagt, dass die Krippenbetreuung für Kinder unter zwei Jahre eine zu große Belastung ist, ebenso wie auch für einen großen Teil der zwei bis dreijährigen Kinder. Dass die Erzieherinnen trotz größter Mühe dies nicht immer auffangen können, wurde mit keinem Satz erwähnt (s. Geist&Gehirn 5/2013).

Dass viele kleine Kinder Probleme in der fremden Betreuungssituation haben, ist an dem typischen Verhalten der Mehrheit der unter Zweijährigen in der Kinderkrippe zu erkennen: Sie spielen kaum miteinander, sondern meistens allein oder sie scharen sich um eine Betreuerin. Experten nennen dies Inselverhalten. Die Kinder lassen sich gut anleiten und gehorchen (sie machen alles, was gesagt wird, essen auch manierlich, was zu Hause nicht funktioniert). Auch das ist eine unbewusste Maßnahme, das innere Gleichgewicht einigermaßen stabil zu halten. Es wird von Erwachsenen positiv gesehen und richtigerweise als Anpassung gedeutet. Eine dauerhafte Anpassung strengt das Kleinkind aber übermäßig an, was zur Überforderung mit verstärkter Unruhe und übermäßigen Wutanfällen führen kann. 

Das Verhalten weist auf ein grundsätzliches Problem der frühen Betreuung hin: Es dürfte klar sein: Wenn sich die unter Zweijährigen noch nicht als eigenständige Person wahrnehmen, also noch keinen festen Standpunkt haben, nichts einordnen und einschätzen können, noch kein Bewusstsein vom eigenen Willen haben, keine Kontrolle über Situationen und ihre Gefühle, dann müssen sie sich bei Unsicherheitsempfinden am nächst greifbaren Erwachsenen orientieren, um nicht als Irrlichter durch den Raum zu schwirren. Deshalb das Inselverhalten. Auf den Pressefotos von Krippenkindern ist das bei den Einjährigen auch deutlich zu sehen.

Beim Abgeben morgens in der Krippe wird der beschriebene Zustand der einjährigen Kinder deutlich: Sie lassen fast alles mit sich machen und akzeptieren schnell die Betreuungsperson, wenn sie von dieser gleich getröstet werden. Der eigene Wille ist aufgrund des fehlenden Ichbewusstseins noch nicht so stark, um heftig zu protestieren. Dies machen allerdings die Zweijährigen, denn die haben ein Ichbewusstsein und einen eigenen Willen und wehren sich je nach Temperament heftig gegen Dinge, die ihnen nicht guttun. 

Bei der Abholung aus der Betreuung oder später zu Hause zeigen die Kinder, wenn die Zeit in der Krippe für sie eine Belastung war: Sie sind dann aggressiv und wütend auf die Eltern oder weinerlich und schlecht gelaunt, wenn sie eine sichere Bindung an die Eltern haben. Ist dieses negative Verhalten ein Dauerzustand, verändert sich die sichere Bindung an die Eltern zur unsicher-ambivalenten. Das spätere negative Verhalten ist damit programmiert. Dieses Verhalten kann dann von den Eltern in der Regel nicht eingeordnet werden, was die Probleme verschärft.

Bei früher Ganztagsbetreuung kann es zur Primärbindung an eine Erzieherin kommen, was sich daran zeigt, dass das Kind beim Abholen häufig nicht zur Mutter will. Wenn das Kind dann von der Krippe in den Kindergarten wechselt, erlebt es einen traumatischen Beziehungsabbruch.

Es gibt noch zwei weitere Entwicklungsmerkmale, die für eine frühe vielstündige Fremd- und Krippenbetreuung problematisch sind: Kleine Kinder verfügen noch nicht über den sogenannten Bewusstseinsstrom. Das bedeutet, sie können die Erlebnisse eines Tages nicht als etwas Zusammenhängendes wahrnehmen, sondern nur als einzelne unzusammenhängende Ereignisse. Die Hirnforscher nennen das „Aktualbewusstsein“ (Roth 2001); denn Kleinkinder leben ja bekanntermaßen nur in der augenblicklichen Situation. Diese einzeln wahrgenommene Erlebnisse können dabei als übermäßig stark empfunden werden und andere überlagern. Wenn also das Kind eine negative Erfahrung macht – ihm wird z. B. ein Spielzeug weggenommen –  kann dies das prägende Erlebnis eines ganzen Tages oder einer ganzen Woche sein, ohne dass die vorsprachlichen Krippenkinder davon berichten können. Negative Erlebnisse in der Krippe oder in anderen Betreuungssituationen können die positiven Erfahrungen überlagern; denn negative Gefühle werden stärker gespeichert als positive. Das bedeutet auch, negative Gefühle kommen später unvermittelt durch und sind dann von den Erwachsenen nicht mehr einzuordnen. 

Dieses Aktualbewusstsein führt andererseits auch dazu, dass sich Kinder unter Zwei von ihrem Kummer schnell ablenken lassen, wenn ein neuer Reiz auftaucht. Das ist für die Fremdbetreuung von Vorteil, da so nach der Eingewöhnungszeit auch zufriedene Spielsituationen zustande kommen. Dadurch entsteht möglicherweise im weiteren Verlauf der Betreuung der Eindruck, dass mit dem Kind alles in Ordnung sei. Leider zeigt sich das aber erst viel später, wenn das Kind sein Ichbewusstsein entwickelt hat und der eigene Wille sein Verhalten steuert. Dann haben sich eine Menge negative Gefühle angesammelt, die über Verhaltensauffälligkeiten nach außen drängen. Häufig ist das erst dann der Fall, wenn das Kind mit ca. 4 Jahren durch eine besser ausdifferenzierte Wahrnehmungsfähigkeit die zweite Phase des Ichbewusstseins erlebt. Dann zeigen besonders die sensibleren Krippenkinder hohe Unruhe, andere zeigen heftige Wutanfälle und hysterisches Verhalten.

Ebenso ist das fehlende Zeitverständnis bei kleinen Kindern ein Problem. Zeit hat für sie noch keine Bedeutung. Bis ca. vier Jahren haben die Kinder nur ein implizites Zeitwissen, das sogenannte archaische Zeitwissensie leben im hier und jetzt. Erst zwischen 4 und 6 Jahren bildet sich das „kulturelle Zeitverständnis“ aus. Bis dahin ist jeder Zeitdruck ein besonderes Problem für das Kind. Es reagiert darauf mit Verweigerung und Trödeln. Beim Krippenkind beginnt das Problem schon mit dem Herausholen aus dem Schlaf, bevor es ausgeschlafen hat. Gerade bei Kleinstkindern ist der ausreichende Schlaf wichtig für die Gehirnentwicklung, weil die vielfältigen Eindrücke des Tages im Schlaf verarbeitet werden müssen. Der morgendliche Schlaf ist nach Aussagen von Hirnforschern dafür sogar besonders effektiv.

Auch die Hektik, die durch feste Arbeitszeiten bei berufstätigen Eltern morgens entsteht, ist ein Problem. Sie überträgt sich ungefiltert auf das Kind. Dies ist irritiert und kann kaum das Gefühl entwickeln, selbst etwas zu bewirken, weil es funktionieren muss. Darunter leidet schon sehr früh das positive Selbstwirksamkeitsgefühl, das u. a. die Basis für die spätere Leistungsbereitschaft ist. Darüber hinaus kann das Kind kein sicheres Zeitgefühl entwickeln, weil die Zeiten der Erwachsenen ihm dauerhaft übergestülpt werden. Das Trödeln der Kinder wird dann zum Dauerbrenner.

In allen europäischen Ländern wird bei Befragungen von den Kindern immer wieder gesagt, dass die Eltern zu wenig Zeit für sie hätten. Die Kinder zwischen 6 und 10 Jahren wünschten sich mehr Zeit im Alltag, elterliche Anwesenheit im Hintergrund, um bei Bedarf Kontakt aufnehmen zu können. Die konkreten Aussagen zeigten die empfundene Qual und Resignation der Kinder (Zeiher 2007). 

Deren Eltern dagegen waren häufig der Meinung, dass sie viel Zeit mit den Kindern verbringen. Diese unterschiedliche Wahrnehmung resultiert aus dem fehlenden Zeitverständnis und dem fehlenden Bewusstseinsstrom im Kleinkindalter und aus der Tatsache, dass Situationen, in denen sich das Kind alleingelassen fühlte, auf Dauer eingebrannt sind. 

Die von den PolitikerInnen propagierte frühe Bildung kann aus all diesen Gründen nur eingeschränkt oder gar nicht stattfinden. Zu Hause in einer sicheren Umgebung würde dies ohne spezielle Förderung von allein laufen; zumal heute fast alle Mütter mit ihren Kleinkindern in Spielkreise gehen, wo der Kontakt zu anderen Kindern und anderen Dingen gegeben ist. Aber hier sehen Mütter meistens schon selbst, wie lange es den Kleinen guttut, mit Gleichaltrigen zu spielen.

Es sind also folgende Entwicklungsmerkmale, die gegen eine frühe Fremdbetreuung sprechen: 

– Die Bindungsentwicklung und die damit zusammenhängenden Trennungs- und Verlassenheitsängste, die den schlimmsten Stress beim Kleinkind verursachen.

– Der notwendige Ablöseprozess von der Mutter zwischen dem ersten und zweiten Geburtstag kann nicht störungsfrei verlaufen, weil dieser sich nur von einer weitgehend anwesenden Mutter vollziehen lässt.

– Das Erkundungs- und Nachahmungslernen, das für eine positive Entwicklung auf viel Freiraum und Geborgenheit in der Familie angewiesen ist.

– Das fehlende Ich-Bewusstsein, das ganz besonders den haltenden Rahmen der Bindungspersonen benötigt.

– Die entwicklungsbedingte Einstellung, dass alles Wahrgenommene „meins“ ist.

– Die Spielentwicklung, die bis zum Alter von zwei Jahren hauptsächlich allein und auf die direkten Bindungspersonen bezogen durchlaufen wird. Erst zwischen Zwei und Drei, wenn das Parallelspiel beginnt und die „Alles-ist-meins-Phase“ zu Ende ist, profitieren Kinder von Gleichaltrigen. Geschwisterkinder sind jedoch wichtige Spielpartner auch in der frühen Zeit.

– Das fehlende Zeitverständnis.

– Das Aktualbewusstsein, das eine negative Färbung der Erfahrungen verursachen kann, besonders bei den eher ängstlichen, sensiblen Kindern.

– Die Stressbelastungen, die vom Kind nicht reguliert werden können. Die Stressregulierung bei Kleinstkindern ist vordringliche Aufgabe der Eltern.

– Die Gefahr der Reizüberflutung durch zu viel Aktion in den Kinderkrippen: Nicht nur die Förderprogramme, die in Hochglanzbroschüren den Kitas vorliegen (z. B. von der Bertelsmann-Stiftung), und die sogenannten ‚Projekte‘, sondern auch die ständigen Kontakte mit vielen Gleichaltrigen, die genau die gleichen Probleme haben wie das Kind selbst, bewirken ständige Reize, die das kleine Kind nicht regulieren kann. In der normalen Familie wachsen ausnahmsweise nur Mehrlinge als Gleichaltrige auf, das Kleinstkind ist nicht auf mehrere Gleichaltrige eingestellt, denn die sind meistens nur Spielobjekte und werden vom Kind auch so behandelt. 

All dies kann von sehr guten Krippen mit ausreichendem Personal mehr oder weniger gut aufgefangen werden; es ist jedoch bekannt, dass eine gute Qualität bei Krippen selten vorhanden ist. Hinzu kommt in den letzten Jahren die prekäre Personalsituation in den Krippen, die sich auf Dauer nicht beheben lassen wird. So stellt sich schon hier die Frage, warum das vorübergehende Aussteigen von Müttern aus dem Beruf nicht besser finanziell unterstützt wird, damit die Kinder in ihrer empfindlichsten Phase dem Risiko für ihre psychische Entwicklung nicht ausgesetzt werden müssen.

Es wird immer behauptet, dass Kinder weitere Bezugspersonen brauchen, weil das sie stabilisiere. Das ist prinzipiell richtig. Allerdings muss erst die sichere Bindung an die Eltern entwickelt sein, damit das Kind weitere Beziehungen wirklich nutzen kann. Muss es sich andere primäre Bindungspersonen suchen, weil die Eltern am Anfang nicht ausreichend zur Verfügung stehen oder sich abweisend verhalten, kommt es zur unsicher-ambivalenten Bindung an die Eltern mit dem negativen Verhalten als Folge.

Zudem können Erzieherinnen ohne eigene Kinder nicht das in vollem Umfang leisten, was Eltern von Natur aus mitbringen: Eltern verfügen unter der Voraussetzung einer eigenen zuträglichen Kindheit über ein zutiefst motiviertes Beziehungswissen im Umgang mit ihrem Säugling und Kleinkind, über angeborene, nicht der Kontrolle unterworfene, geschlechts- und kulturunabhängige intuitive Kompetenzen. Nur Eltern können dafür sorgen, dass sich beim Kind eine stabile Identität entwickelt, denn diese ist wesentlich abhängig von den biologischen Eltern.

FamilienpolitikerInnen sollten sich gut überlegen, was sie mit ihrer unreflektierten Offensive den Kindern und den Erzieherinnen zumuten: Kleinkindpädagoginnen müssten Supermütter sein, um bis zu fünf oder mehr Kleinkinder versorgen, erziehen und bilden zu können. Eine Mutter mit Fünflingen bekommt Hilfe von außen, eine Erzieherin muss das alles ohne „Elternmotivation“ alleine schaffen. 

Wie die Krippenpraxis sich für die Kinder und Erzieherinnen darstellt, ist im einzelnen in der Veröffentlichung von Sulz u. a. (2018) nachzulesen. Auch in dem Buch der Neurobiologin Nicole Strüber werden die Probleme für die Krippenkinder beschrieben (2016, z. B. S. 308f).

3  Welche Auswirkungen hat die frühe Krippenbetreuung?

   (Forschungsergebnisse)

Es gibt inzwischen viele Untersuchungen zu den Auswirkungen früher Krippenbetreuung. 

Schon vor mehr als fünfzehn Jahren zeigten solche Studien negative Ergebnisse. Zwar waren die sprachlichen Kompetenzen der Krippenkinder ein wenig besser (ganz neue Untersuchungen zeigen auch diesen angeblichen Vorteil nicht mehr), die sozialen Kompetenzen und die Persönlichkeitsentwicklung aber deutlich schlechter als bei vergleichbaren Familienkindern. Besonders die Fähigkeit, mit negativen Gefühlen umzugehen, fehlte den Krippenkindern. In diesen Untersuchungen waren die Krippenkinder weniger fröhlich, passiver und unselbständiger in der Krippe, und zu Hause reagierten sie negativ auf Familienmitglieder (Bensel 1994). 

Neuere Untersuchungen aus Deutschland (Ahnert 2000, Viernickel 2004), die sehr genau durchgeführt sind, zeigen angeblich keine negativen Ergebnisse. Je nachdem, wie man die beobachteten Verhaltensweisen der Kinder, die selbst noch nichts dazu sagen können, interpretiert, sind die Ergebnisse negativ oder positiv. Aus meinem Fachwissen heraus ist es negativ, wenn 50 % der Interaktionen dieser Krippenkinder konflikthaft war, denn das ist hoher Stress für die Kinder. Die Forscherinnen sahen bei den Konflikten allerdings soziales Lernen, was m. W. in der heftigen und langzeitigen Form nicht möglich ist und nur die Ichbezogenheit der Kinder verfestigt. Denn Kinder vor dem Icherkennen sind nicht in der Lage, aus solchen Konfliktsituationen sozial zu lernen. Das negative Verhalten der Kinder den Müttern gegenüber bei der Abholung, was in dieser Untersuchung festgestellt wurde, ist jedoch das wichtigste Indiz für die Belastung dieser Kinder. Von sozialem Lernen kann also keine Rede sein.

Die derzeit am häufigsten zitierte amerikanische Langzeit-Studie (NICHD) zur Krippenbetreuung zeigt keine positiven Ergebnisse. Die im Jahr 2001 veröffentlichten negativen Ergebnisse wurden von den Experten und vom Familienministerium als “kaum wichtig“ herunterdiskutiert. Die neuen Ergebnisse vom März 2007 sind deutlich negativ: Kinder, die mehr als 20 Stunden pro Woche in der Fremdbetreuung zugebracht haben, verhielten sich dreimal häufiger problematisch als Kinder, die vorrangig von ihren Müttern betreut wurden. Aggressionen, Ungehorsam, Unbeherrschtheit und Gewalttätigkeiten standen im Vordergrund. Auch die Kinder, die in den ersten zwei Jahren nur 10 Stunden pro Woche fremdbetreut wurden, verhielten sich negativer als Familienkinder. Insgesamt zeigt diese Langzeitstudie, dass für ein Kind ein um so größeres Risiko besteht, verhaltensauffällig zu werden, je früher und je länger es in außerfamiliärer Betreuung war.

Bezeichnend ist die Aussage einer Fachfrau, die bei der Studie mitgearbeitet hat und die negativen Ergebnisse relativierte. Sie sagte: „Unsere Resultate sind aber auch „gute Neuigkeiten“ (!) für all die Mütter, die bewusst zu Hause bei ihren Kindern bleiben und ihren Beruf aufgeben, denn qualitativ gute Mutterbetreuung – ob voll- oder teilzeitig – ist der wichtigste Faktor für eine gesunde Entwicklung des Kindes.“ (Weltwoche April 2007, online-Artikel). 

Neue Untersuchungen aus 2012 und 2010 (Wiener Krippenstudie und Grazer Krippenstudie) zeigen hohe Stressbelastungen bei einem Großteil der Kinder und negative soziale Entwicklungsverläufe. Die festgestellte positive Sprachentwicklung kann die tiefgreifenden Belastungen der Kinder jedoch nicht legitimieren.

Neue Studien, über die Zepf und Seel (2017) berichten, belegen ebenfalls, dass auch die beste Krippe nicht verhindern kann, dass viele der Kinder, die zu früh und ganztags dort untergebracht werden, einen sie überfordernden Dauerstress erleben. Dauerstress führt dazu, dass sich die Chancen des Kindes, sich seinen genetisch mitgegebenen Begabungen gemäß zu entwickeln und zu entfalten, deutlich verringern. Wulfes und Schulz (2017) berichteten auf dem 35. Symposium der Fachgruppe „Klinische Psychologie undPsychotherapie“ der Deutschen Gesellschaft für Psychologie von unterschiedlichen Studien über den Einfluss außerfamiliärer frühkindlicher Betreuung auf die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter. Es zeigten sich Verhaltensprobleme, externalisierte, also nach außen verlagerte Verhaltensauffälligkeiten undgeringeres prosoziales Verhalten. Sie empfehlen, besonders frühes Eintrittsalter zu vermeiden. Dieses Ergebnis findet sich auch in der Wiedergabe von mehreren Untersuchungsergebnissen bei Nicole Strüber (2016, S. 308f).

Eine Studie des Kinderhilfswerkes UNICEF zur Lage der Kinder in den Industriestaaten von Anfang 2007 sagt mehr aus zum Thema als jede Studie zu den Auswirkungen früher Fremdbetreuung. Hier haben die Länder mit langjähriger früher Krippenbetreuung und Ganztagskindergärten und -schulen die schlechtesten Werte bei den Beziehungen der Kinder zu ihren Eltern und zu Gleichaltrigen. Großbritannien und die USA, wo die Fremdbetreuungsquote sehr hoch ist, bilden das Schlusslicht in dieser Liste. Auch in Schweden, wo die Krippenbetreuung scheinbar gut funktioniert, haben die Kinder überdurchschnittlich viele Probleme mit ihren Eltern. Deutschland liegt im Mittelfeld, wobei die neuen Bundesländer wiederum sehr schlechte Werte haben und Bayern die besten. Darüber lohnt es sich nachzudenken. 

Die Tatsache, dass Kinder mit einer schlechten Beziehung zu Eltern und Gleichaltrigen in den meisten Fällen auch negative Werte bei der Selbsteinschätzung (Selbstwertgefühl) in der genannten UNICEF-Studie angaben, passt ebenfalls ins Bild. Denn es ist unter psychologischen Gesichtspunkten klar: Dauerhafter Stress mit den Eltern und mit Gleichaltrigen spricht für eine schlechte eigene psychische Verfassung. 

Durch ein quasi natürliches Experiment aus Kanada werden die negativen Aspekte der frühen Krippenbetreuung ebenso deutlich. Im Jahr 1997 wurde ein umfassendes Tagesbetreuungs-Angebot ausschließlich im Bundesstaat (Stadt) Quebec eingeführt. Die Tagesbetreuung wurde für alle Familien angeboten zu geringen Kosten, die Qualität war nach universellen Standards gesichert, die Erzieherinnen bekamen 40 % mehr Gehalt. Die Tagesbetreuung (meistens ganztags) und die Müttererwerbstätigkeit nahmen darauf im Bundesstaat Quebec um ein Drittel zu, die Subventionskosten überstiegen jedoch das zusätzliche Steueraufkommen.

Mit einer Längsschnittstudie (National Longitudinal Study of Canadian Youth, NLSCY) wurde 2005 die Entwicklung im Bundesstaat (Stadt) Quebec mit den anderen Regionen verglichen. Bei den Kindern verschlechterte sich (in geringem Maße) das Verhalten: Zunahme von Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit, Aggressivität, Verschlechterung sozialer und motorischer Kompetenzen, Verschlechterung des Gesundheitszustands (häufige Infektionen). Darüber hinaus gab es negative Effekte auf der Elternseite: Die Eltern-Kind-Beziehung verschlechterte sich, die Mütter litten häufiger unter Depressionen, und die Beziehungszufriedenheit der Frauen ging zurück. 

Englische Jugendliche haben gemäß Studien den höchsten Alkoholkonsum, die höchste Kriminalitätsrate, den höchsten Drogenmißbrauch von ganz Europa! Untersuchungen zu den Ursachen der vergangenen Jugendkrawalle in England (UNICEF-Studien von 2010 und 2011) hatten zum Ergebnis, dass die Eltern zu viel arbeiten und ihre Kinder mit materiellem Wohlstand überhäufen. Jeder zweite Hilfslehrer in Großbritannien hat im vergangenen Jahr körperliche Gewalt im Klassenzimmer erlebt. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Gewerkschaft Unison, für die mehr als 14.000 britische Hilfslehrer befragt wurden.

Andererseits gibt es inzwischen in vielen Ländern schon 24-Stunden-Krippen, weil die Eltern (oft Alleinerziehende) mehrere Jobs haben müssen, um leben zu können. Dies wird auch bei uns schon gefordert und in Ostdeutschland sowie im Saarland schon realisiert. Diese Entwicklung wird politisch nicht gestoppt. Würden Eltern das Geld, das ein Krippenplatz pro Kind kostet (zwischen 1000 und 1500 €), vom Staat erhalten, könnten sie wenigstens teilweise bei ihren Kindern bleiben.

Kommt es durch die ganztägige frühe Fremdbetreuung zu Bindungsstörungen und daraus resultierend zu verstärkt negativem Verhalten beim Kind, muss davon ausgegangen werden, dass sich langfristig auch Bindungsprobleme im Erwachsenenalter ergeben, da sich das negative Verhalten im Erwachsenenalter kaum ändert. Die Scheidungsrate ist in den Ländern mit flächendeckender Krippenbetreuung höher als bei uns. Großbritannien hat die höchste Scheidungsrate in Europa. Bei uns ist sie auch schon sehr hoch, allerdings durch die hohe Quote in den neuen Bundesländern. Auch darüber lohnt es sich nachzudenken, auch wenn hier weitere Ursachen eine Rolle spielen können. 

Die schönen Bilder und Filme von Vorzeigekrippen in unserem spät auf diesen Zug aufgesprungenen Westdeutschland täuschen über die gesellschaftlichen Entwicklungen in den anderen, schon lange krippen- und ganztagsbetreuenden Ländern hinweg. Am Beispiel Schweden lässt sich die immer wieder bemühte These der frühen Bildung in Krippen widerlegen. Die bundesdeutsche Tagespresse vom 4. Mai 2013 meldet: Schwedische Professoren beklagen die Dummheit ihrer Studenten. Die Auflistung der Unfähigkeiten ist erschreckend. Wie kann das sein in einem Land mit Bildung von Anfang an? Wie oben bereits erläutert, entwickelt sich die Leistungsbereitschaft des Kindes in den ersten zwei Jahren immer dann, wenn es feststellt, was es bewirken kann und wie die Eltern darauf reagieren. Freuen sich die Eltern über die Freude des Kindes, ist es hochmotiviert, weiterzumachen. Dafür muss die primäre Bindungsperson immer in der Nähe sein, denn kleine Kinder sind ständig aktiv. Gibt es diese Gefühlsspiegelung durch Ignoranz oder Abwesenheit der Eltern nicht, erlahmt die Leistungsbereitschaft schon sehr früh. 

Weitere Beispiele aus diesen Ländern lassen sich für das Sozialverhalten und vermehrten Suizid Jugendlicher nennen. Die Folgen frühkindlicher Entbehrungen zeigen sich erst, wenn die Kinder sich von ihren Eltern entwicklungsbedingt ablösen. Wahrscheinlich müssen wir 15 – 20 Jahre warten, bis unsere bundesdeutsche Gesellschaft begreift, was sie über viele Jahre erfolgreich ausgeblendet hat.

Im Krippenland Frankreich zeigte sich 2019 durch die Gelbwesten-Demonstrationen eine große Unzufriedenheit des Volkes. Bei der Vorstellung der Ergebnisse der darauf folgenden groß angelegten Debatten hob der Premierminister Philippe hervor, wie sehr ihn die Zeugnisse der großen Vereinzelung der Franzosen betroffen ge-macht hätten. Die Debattenbeiträge zeugten von einem Gefühl der „Verlassenheit“. Im Alltag fehle es vielen an sozialen Bindungen (s. https://m.faz.net/aktuell/politik/

ausland/die-ergebnisse-von-macrons-buergerdialog-16130948.html). Eine „Liebe auf Distanz“ (Moulin 2013) führt zwangsläufig zu solchen Verlassenheitsgefühlen, denn diese stammen aus den ersten Lebensjahren, wo den fremdbetreuten Kindern die Eltern gefehlt haben und den älteren Kindern ebenfalls häufig die Eltern fehlen, wenn sie ganztags in die Schule müssen (Zeiher 2007). Die Selbstmordquote in Frankreich bestätigt diese Einschätzung; sie war 2013 mit die höchste Zahl in Europa (Suwala 2013).

Forschungsprojekte in Deutschland (z. B. PAIRFAM), die das Aufwachsen von Kindern zum Thema haben, berücksichtigen die frühen Betreuungsformen nicht. Wenn beim MYPLACE-Projekt der EU jedoch herauskommt, dass die Jugendlichen in anderen Ländern in allem deutlich schlechtere Werte haben als die Jugendlichen in Westdeutschland, muss man doch danach schauen, worin sich das Aufwachsen der Kinder deutlich unterscheidet! 

Ein ganz neuer Aspekt zu den Folgen der frühen ganztägigen Krippenbetreuung wird von Ulrike von Aufschnaiter (2019) in die Diskussion eingebracht: Die weitgehende Versorgung mit Nahrungsmitteln in öffentlichen Einrichtungen schädigt die Gesundheit vieler Kinder.

Die Befürworter der frühen Fremdbetreuung lassen die hier aufgeführten Zusammenhänge nicht gelten. Es ist allerdings auch nicht möglich, sie empirisch zu beweisen, da das öffentliche Interesse an solchen Studien fehlt, es also keine Forschungsgelder dafür gibt. Man kann derzeit nur psychologische Schlüsse ziehen und bedenken, dass innerhalb von 25 Jahren viele verschiedene Einflüsse wirken und Fehlentwicklungen auf diese Einflüsse abgeklopft werden müssen. Die umfangreichen Erkenntnisse der wissenschaftlichen Psychologie lassen jedoch kaum andere als die hier dargestellten Schlüsse zu. Sie werden von Psychoanalytikern, Kinderärzten und Kinderpsychiatern bestätigt und stimmen mit meiner 30jährigen Praxiserfahrung in der Elternarbeit überein.

4  Wie muss, wenn es keine Alternative gibt, mit negativem Verhalten der Krippenkinder umgegangen werden, damit das Kind keinen Schaden nimmt?

Wenn es aus zwingenden Gründen keine Alternative zur frühen Krippen- und Fremdbetreuung gibt, müssen unter den anfangs dargestellten Aspekten folgende Dinge berücksichtigt werden, damit das Kind möglichst wenig Schaden nimmt. 

Wie ich schon ausgeführt habe, verhalten sich die Kinder besonders den Müttern gegenüber negativ. Zu Hause sind diese Kinder in der Regel reizbarer und widerspenstiger. Kann die Mutter damit nicht richtig umgehen, entwickelt sich daraus eine unsichere Bindung, die auf Dauer die Beziehung und die psychosoziale Entwicklung des Kindes belastet. 

Richtiger Umgang mit dem negativen Verhalten des Kleinkindes heißt, nicht zu strafen, das negative Verhalten weitgehend hinzunehmen, die Dinge nur zu regeln und alles zu tun, um das Kind zu beruhigen. Denn das Kind unter drei Jahren kann seine Impulse nicht kontrollieren, d. h. es hat kaum ein Bewusstsein von seinem negativen Verhalten. Man kann deshalb nicht mit ihm darüber diskutieren, es sei denn, man zwingt es mit Gewalt, was die Problematik verschärft.

Das Kind wird zeigen, ob es Nähe oder Ruhe braucht. In jedem Fall braucht das Krippenkind abends keine Aktion, sondern beruhigendes und ausgleichendes Elternverhalten. Darauf sollte unbedingt geachtet werden. Wenn die Bedürfnisse des Kindes die volle Beachtung der Mutter oder des Vaters finden und alle verfügbare Zeit in stressfreier Form mit dem Kind verbracht wird, damit sich das Kind beruhigt und wohlfühlt, kann auf diesem Weg die sichere Bindung am ehesten erhalten bleiben. 

Oft versuchen berufstätige Eltern, die Kinder mit besonderen Aktionen und Geschenken von ihren negativen Gefühlen abzulenken bzw. das vielleicht eigene schlechte Gewissen zu beruhigen und den Kindern etwas Gutes zu tun (s. UNICEF-Studien zu den Jugendkrawallen in England, wo die Eltern zu viel arbeiten und die Kinder mit Konsumartikeln überschütten!). Das führt dazu, dass diese Kinder früh auf Ablenkung von negativen Gefühlen „gebongt“ sind. Mit zunehmendem Alter verlangen sie immer mehr Aktion, weil sie mit sich selbst nichts mehr anzufangen wissen. All das ist bei zu Hause betreuten Kindern mit einer sicheren Bindung nicht nötig. Hier kann der Regellernprozess normal ablaufen, d. h. auch mit deutlichen Konsequenzen. Hier kann auf negative Gefühlsäußerungen entsprechend reagiert werden, damit das Kind lernt, damit umzugehen. Und hier lassen sich Aktionen über den Tag in einer verträglichen Form verteilen. Hier hat das Kind immer das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Das muss sich das ganztags krippen- und fremdbetreute Kind zu Hause jeden Abend und jedes Wochenende neu erarbeiten.

So kommen Untersuchungsergebnisse zustande, die feststellen, dass voll berufstätige Eltern mehr mit ihren Kindern machen als Familieneltern – und das wird aus der Sicht der Experten als Vorteil für die Kinder von voll berufstätigen Eltern dargestellt! Dabei braucht fast jedes Kind für eine gesunde psychische Entwicklung auch Zeit für sich selbst. Gerade die Kinder mit vielstündiger Fremdbetreuung benötigen Ruhezeiten, damit die Erlebnisse des Tages verarbeitet werden können. Allerdings ist es für sie auch schwer, sich selbst zu beschäftigen und damit zu entspannen, da sie meistens animiert werden. Das ist durchaus ein Problem. Es  hängt von der bisherigen Beziehungsgeschichte und der Persönlichkeitsstruktur des Kindes ab, wie Eltern solche Situationen gestalten müssten. Hilfreich für Krippenkinder ist in jedem Fall das unstrukturierte freie Spiel im Haus oder im Garten, wobei die Mutter oder der Vater immer in der Nähe sein sollten.

Es ist jedenfalls wesentlich, das negative Verhalten der Kinder nicht zu bestrafen, sondern ruhig und bestimmt die Situationen zu regeln. Hier gibt es Parallelen zu Pflegekindern, die sich nur positiv entwickeln, wenn die Pflegeeltern so gut wie keine Erziehungsfehler machen – Fehler, die sich biologische Eltern bei sicherer Bindung durchaus leisten können.

5  Welche Fremdbetreuung ist für Kinder unter drei Jahren verträglich und welche Kinder sind aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur durch eine frühe Fremdbetreuung ernsthaft gefährdet?

Sie werden aus meinen bisherigen Ausführungen entnommen haben, dass frühe Fremdbetreuung überhaupt nicht verträglich für ein Kind unter 3 Jahren ist. Das ist prinzipiell richtig. Ich will das jetzt differenzieren, da ich weiß, wie viele Mütter heute den großen Wunsch nach Berufstätigkeit haben oder voll mitverdienen müssen.

Es ist sicher klar geworden, dass eine ganztägige Fremdbetreuung – egal wo und wie – die Bindung an die Eltern schwächen oder verhindern kann mit negativen Folgen für die Entwicklung des Kindes. Um eine sichere Bindung an die Mutter entwickeln zu können, muss die Mutter im ersten Jahr immer und im zweiten Jahr weitgehend für das Kind verfügbar sein. Das bedeutet, dass nur wenige Stunden Abwesenheit in der Woche bei guter Ersatzbetreuung möglich sind, wenn das Kind nicht übermäßig belastet werden soll. Als Richtschnur kann gelten, dass mehr als die Hälfte der Wach-Zeit des Kindes die Mutter/der Vater verfügbar sein müsste. Wenn man die Risiken ausschließen will, sollte das Kind erst deutlich nach dem zweiten Geburtstag in die Fremdbetreuung gegeben werden und dann auch nur halbtags. Die besonders sensiblen, eher ängstlichen Kinder sollten jedoch keine Krippe besuchen müssen, weil diese erst zwischen drei und vier Jahren gruppentauglich sind.

Eine Tagesmutter kommt im Notfall bei wenigen Stunden Betreuung am ehesten in Frage, weil hier nicht so viele und altersgemischte Kindergruppen betreut werden. Bei ganztägiger Betreuung wird sie notgedrungen vom Kind als Ersatzmama angesehen. Solche Kinder sagen oft zur Tagesmutter Mama, die eigene Mutter hat dann aber die gleichen Probleme wie bei vielstündiger Krippenbetreuung. Allerdings ist eine Tagesmutter besonders für sensible Kinder eher geeignet als eine Krippe, weil die dortige Situation der zu Hause ähnlicher ist und deshalb mehr Sicherheit bietet.

Am besten vertragen Kinder stundenweise Fremdbetreuung, wenn diese zu Hause geschieht. Großeltern sind dafür sehr gut geeignet, besonders dann, wenn sie im gleichen Haus wohnen und/oder wichtige Bezugspersonen für das Kind darstellen. Au-pair-Mädchen sind bei vielstündiger Abwesenheit der Eltern auch geeignet, wenn sie gut mit den Kindern umgehen können. Denn die Betreuung geschieht im Haus und die Mädchen gehören für ein Jahr zur Familie, können also auch zur Bezugs-person werden. Aber auch hier besteht das Zeitproblem in den ersten zwei Jahren, das die Bindung zur Mutter schwächen kann, wenn das Baby das Au-pair-Mädchen als primäre Bindungsperson erlebt.

Wenn man also in der Notlage ist, das Kind früh fremdbetreuen lassen zu müssen, sollte man die Zeit so gering wie irgend möglich halten. Vom Stress, den das Kind möglicherweise beim Abgeben und Abholen von der Fremdbetreuung evtl. macht, sollte man sich nicht anstecken lassen, sondern diesen als notwendig akzeptieren. Wichtig ist, das Kind zu beruhigen, morgens auf das Wiederkommen zum Abholen und auf die positiven Dinge in der Kita hinzuweisen. Und natürlich immer zu versichern, dass man wiederkommt. Das ist wichtig für das Kind, denn das weiß es noch nicht. Die gemeinsame Zeit nach der Betreuung sollte so ruhig wie möglich verlaufen, den Bedürfnissen des Kindes nach Nähe entsprechend. Das kann durchaus parallel zur notwendigen Hausarbeit geschehen. Widerborstigkeit, schlechte Laune usw. sollten nicht überbewertet werden. Beruhigung des Kindes ist auch hier angesagt.

Dabei sollte eine Krippe gesucht werden, wo der Betreuungsschlüssel niedrig ist. Die Eingewöhnungszeit mit der Mutter sollte sich nach dem Bedürfnis des Kindes richten. Hier besteht übrigens auch das Problem, dass ein niedriger Betreuungsschlüssel einerseits für die Kinder wichtig und gut ist, andererseits die Kinder sich bei früher ganztägiger Betreuung eine Erzieherin als Bezugsperson suchen müssen, die dann zur primären Bindungsperson wird; mit den dazugehörigen Folgen für die Mutter-Kind-Beziehung und die Entwicklung des Kindes.

Nun noch einige Anmerkungen zu den Kindern, die durch eine frühe Krippenbetreuung besonders gefährdet sind: 

Erwähnt habe ich schon die  sensiblen, eher ängstlichen Kinder. Für diese ist eine frühe Fremdbetreuung mit hohem Risiko verbunden. Nach Aussagen von Krippenexperten sind 20 % eines Jahrgangs davon betroffen.

Aber auch für einige der außenorientierten, wenig ängstlichen Kinder gibt es Risiken. Es geht um diejenigen, die von Geburt an erheblich wacher, aufgeweckter, neugieriger, lebendiger sind als die meisten anderen. Sie sind sehr leicht durch neue Reize stimulierbar. Da sie als Kleinkinder über diese Impulse noch keine Kontrolle haben, sind sie diesem Mechanismus völlig ausgeliefert, so dass sie viel herumzappeln, ständig Neues suchen und sich darüber begeistern. Das ist erst einmal sehr positiv, weil dies in der Regel auch sehr fröhliche Kinder sind. Allerdings leidet unter dem ständigen reizsuchenden Verhalten auf Dauer die Konzentrationsfähigkeit des Kindes. Für solche Kinder birgt eine Krippenbetreuung die Gefahr, eine Hyperaktivität auszubilden. Allerdings weisen neuere Untersuchungen darauf hin, dass auch die sensiblen Kinder in Gefahr sind, bei früher Krippenbetreuung ADHS zu entwickeln.

Darüber hinaus ist für alle Kinder, die hochbegabt sind und in den ersten fünf Jahren Eltern häufig Stress bereiten durch das Auseinanderklaffen des kognitiven und sozialen Verstehens, eine Krippenbetreuung nicht zu empfehlen. Die Hochbegabung kann sich in eine spätere Leistungsverweigerung verändern, wenn dem Kind zu viel Stress zugemutet wird. 

6 Schlussbemerkungen

Es ist im übrigen unstrittig, dass für manche Kinder aus sozial schwachen Familien eine Krippenbetreuung besser ist, als sie der emotionalen Verwahrlosung oder Misshandlung durch die Eltern auszusetzen. Denn bei total beziehungsunfähigen Eltern können die Kinder auch keine sichere Bindung entwickeln, so dass sie in einer Krippe bessere Entwicklungschancen haben. Allerdings bieten in einem solchen Fall Pflegeeltern eher eine Chance. Bei allgemein erziehungsunfähigen Eltern müsste parallel zur halbtägigen qualitativ hochwertigen Krippenbetreuung Elternbildung und -beratung durchgeführt werden, um evtl. noch die Bindungs- und Erziehungsfähigkeit bei diesen Eltern zu ermöglichen. Denn sonst nutzt die Krippenbetreuung den Kindern wenig, wie das aus einer anderen amerikanischen Studie hervorgeht (Böhm 2011).

Für die Kinder von erziehungs- und beziehungsunfähigen Eltern sind Kinderkrippen in jedem Fall sinnvoll. Die Anzahl dieser Kinder wird von den Forschern mit ca. 9 % eines Jahrgangs angegeben. Für viele der übrigen 91 % der Kinder besteht jedoch, wie gezeigt werden konnte, bei vielstündiger Krippen- und Fremdbetreuung in den ersten zwei bis drei Jahren das Risiko, Verhaltensauffälligkeiten zu entwickeln, die sich kaum „auswachsen“ und später therapiebedürftig sind! 

Flexible Betreuungsmöglichkeiten, die Müttern den Anschluss an ihre Berufstätigkeit oder Weiterbildung ermöglichen, sollten vorhanden sein. Hier sind betriebliche Betreuungsmöglichkeiten in Kleinstkinder-Gruppen in der Nähe der Mütter für die Kinder am ehesten verträglich, wenn die Unterstützung aus der Familie fehlt. 

Alleinerziehende sollten in jedem Fall finanziell so unterstützt werden, dass sie in den ersten Jahren bei ihren Kindern bleiben können, denn hier ist die weitgehende Anwesenheit der Mutter besonders wichtig, weil schon der Vater nicht oder kaum zur Verfügung steht. Unsere derzeitige Rechtsprechung verhindert das jedoch.

Zu der hier geschilderten Problematik muss man wissen, dass der gesellschaftliche und politische Druck ideologische Hintergründe hat wie in allen anderen Ländern, in denen vor 50 Jahren die Krippenbetreuung eingeführt wurde.

OECD und nationale Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften sowie alle Politiker/innen machen seit Jahren großen Druck auf die Frauen, von Anfang an voll erwerbstätig zu sein, um die Wirtschaft anzukurbeln, die Sozialkassen zu entlasten und vermeintlich den Demographiewandel in Gang zu setzen. 

Der Gleichberechtigungsgrund ist dabei nur nützlich und der demographische Grund nicht nachweisbar. Die Frauen mit ihren Berufswünschen oder Geldsorgen lassen sich verständlicherweise darauf ein, sie werden zusätzlich durch den Hinweis auf die zu erwartende Altersarmut (wird hier immer die Scheidung vorausgesetzt?) zum sofortigen Wiedereinstieg in den Beruf gedrängt.

Die betroffenen Kleinkinder haben gegen diese gesellschaftspolitische Ignoranz keine Chance!

Literatur:

Ahne, V.: Immer Stress mit der Krippe (Bezug auf die Wiener Krippenstudie). In: Geist&Gehirn 5-2

Ahnert, L.: Belastungsreaktionen bei beginnender Tagesbetreuung aus der Sicht der frühen Mutter-Kind-Bindung. In: Psychologie in Erziehung und Unterricht 3/2000, S. 189-202

Ahnert, L.: Frühe Bindung. Reinhardt-Verlag, München 2004

Ahrbeck, B.: Erregte Zeiten, unaufmerksame und hyperaktive Kinder. In: Psyche, 2008, S. 693-712

Aufschnaiter, U. v.: Deutschlands kranke Kinder. Tredition-Verlag, Hamburg 2019

Aufruf zur Wende in der Frühbetreuung. Arbeitsgruppe Frühbetreuung der Arbeitsgemeinschaft Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie (SKEPT) in der Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten Deutschland e. V. (VAKJP), 26.05.2020

Baker, M. et al.: Non-Cognitive Deficits and Young Adult Outcomes: The Long-Run Impacts of a Universal Child Care Program. NBER Working Paper No. 21571, 2015

Bauer, K.: „Ich kann und will das nicht mehr“. www.fuerkinder.org/praxisbeitraege/601

Behncke, B.: Der sich beschleunigende Kreislauf zwischen der Kleinkindsozialisation in Kinderkrippen und gegenwärtigen Tendenzen in Wirtschaft und Gesellschaft. In: Psyche, 2006, S. 237-252

Behncke, B.: Auf dem Weg zur mutterlosen Gesellschaft. Garamond-Verlag, Gera 2018

Belsky, J., Vandell, D. L., Burchinal, M., Clarke-Stewart, K. A., McCartney, K., Owen, M. T. (2007): The NICHD Early Child Care Research Network: Are there long-term effects of early child care? Child Development 78: 681-701

Bensel, Joachim: Ist die Tagesbetreuung in Krippen ein Risiko? Eine kritische Beurteilung der internationalen Krippenforschung. In: ZfP 2 /1994, S. 303-328

Böhm, R.: Auswirkungen frühkindlicher Gruppenbetreuung auf die Entwicklung und Gesundheit von Kindern. In: Kinderärztliche Praxis 82, 2011 Nr. 5, S. 316-321

Böhm, R.: Krippenbetreuung aus entwicklungspädiatrischer Sicht. Vortrag beim Deutschen Kongress für Psychosomatik und Ärztliche Psychotherapie. München 2012 (PP-Präsentation kann bei mir angefordert werden. E. B.)

Böhm, R.: Die dunkle Seite der Kindheit. Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4.4.2012

Brisch, K. H. / Hellbrügge, Th. (Hrsg.): Kinder ohne Bindung: Deprivation, Adoption und Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta 2006

Butzmann, E.: Elternkompetenzen stärken. Bausteine für Elternkurse. Reinhardt-Verlag, München 2011

Butzmann, E.: Sozial-kognitive Entwicklung und Erziehung. Impulse für Psychologie, Erziehungswissenschaft und Sozialpädagogik. Psychosozial-Verlag, Gießen 2020

Dammasch, R. (Hrsg.): Das modernisierte Kind. Brandes &Aspen 2013; hier insbesondere die Aufsätze von Ann Katrin Scheerer und Rainer Böhm

Edert, C.: Kleinkinder brauchen präsente Eltern. Interview im Weserkurier vom 20.08.2012

Fonagy, P. / Gergely, G. / Jurist, E. / Target, M.: Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Klett-Cotta, Stuttgart 2002

Götze, H. K.: Kinder brauchen MütterDie Risiken der Krippenbetreuung – Was Kinder wirklich stark macht. Ares-Verlag, Graz 2011

Götze, H. K.: Die Sehnsucht kleiner Kinder. Ares-Verlag, Graz 2019

Henzinger, Ursula: Bindung und Autonomie in der frühen Kindheit. Psychosozial-Verlag, Gießen 2017

Hüther, G.: Über die Beschaffenheit des neurobiologischen Substrats, auf dem Bildung gedeiht. Neue Sammlung, Jg. 43, 2003, Heft 1, S. 31-34

Israel, A., Kerz-Rühling, I. (Hrsg.): Krippenkinder in der DDR. Brandes & Apsel 2008

Leuzinger-Bohleber, M.: Sicher gebundene Kinder haben beim Lernen Vorteile. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.6.2013, Nr. 141, S. 7

Kaplan, Louise: Die zweite Geburt. München 1987

Moulin, M.: Liebe auf Distanz. Die ZEIT Nr. 37/2013

Piaget, J.: Das Erwachen der Intelligenz beim Kind. Dtb, München 1992

Piaget, J. / Inhelder, B.: Die Entwicklung des inneren Bildes beim Kind. Suhrkamp-Verlag 1990, S.467

Rankl. Christine: So beruhige ich mein Baby, Patmos-Verlag 2005

Roth, G.: Denken, Fühlen, Handeln. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 2001.

Roth, G.: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Klett-Cotta, Stuttgart 2015

Roth, G.: Vortrag Tagung Heidelberg am 26.09.2015: Wie das Gehirn die Seele macht

Suwala, A.: Frankreichs dunkelste Zahl. Treffpunkt Europa 2013

Scheerer, A. K.: Krippenbetreuung aus tiefenpsychologischer Sicht. Vortrag auf der Jahrestagung der Dt. Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) in Bielefeld am 23.9.2011

Seiler, Johannes: Stresshormon verringert Knochenstabilität bei Kindern. Pressemitteilung der Universität Bonn vom 19.9.2014

Spitzer, M.: Erfolgreich lernen in Kindergarten und Schule. DVD, 2007, Müllheim/Baden

Staatsinstitut für Frühpädagogik: Wach, neugierig, klug – Kinder unter 3. Ein Medienpaket für Kitas, Tagespflege und Spielgruppen. Bertelsmann-Stiftung, München 2006.

Strüber, N.: Die erste Bindung. Wie Eltern die Entwicklung des kindlichen Gehirns prägen. Stuttgart 2016

Strüber, N.: Risiko Kindheit. Stuttgart 2019

Sulz, S. (Hrsg.): Schadet die Kinderkrippe meinem Kind? München 2018

Thiel-Bonney, C. u. a.: Feinfühligkeit und intuitive Kompetenz. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 9/2004, S. 610

Viernickel, S.: Kleinkinder konstruieren soziale Bedeutungen. In: Fried, L. / Büttner, G. (Hrsg.): Weltwissen von Kindern. Zum Forschungsstand über die Aneignung sozialen Wissens bei Krippen- und Kindergartenkindern, 

S. 35-54, Weinheim 2004

Wulfes, N. / Schulz, W.: Der Einfluss außerfamiliärer frühkindlicher Betreuung auf die

Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter. Vortrag am 26.5.2017, 35. Symposium der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie 2017

UNICEF-Vergleichsstudie: Infografik „Zur Lage der Kinder in Industrieländern“. Spiegel-online 14.2.2007

Zeiher, H.: Zeitwohlstand in der Kindheit. In: ZSE 1/2007, S. 58-71

Zepf, S. / Seel, D.:  Würden sich kleine Kinder für ihre Betreuung Kitas ausdenken?

Kinderanalyse 25 (3) S. 203-230, 2017

Zinnecker, J.: Stresskinder und Glückskinder. In: ZfP 1/1997, S. 7-34.

Dr. Erika Butzmann, Lüerte 36, 27793 Wildeshausen, 04431 / 5704,  erika.butzmann@ewetel.net

*) „Die NICHD-Studie verdeutlicht – wie vergleichbare wissenschaftliche Untersuchungen – zum einen den Zusammenhang zwischen der (Qualität von) Fremdbetreuung und der kindlichen Entwicklung sowie zum anderen die große Bedeutung von Familienfaktoren (z. B. Qualität der Familienerziehung und der Ehebeziehung). Deshalb sollte seitens der (Kommunal-, Familien-, Bildungs-) Politik nicht nur in die qualitative Verbesserung der Betreuungsangebote, sondern auch in die Ausweitung und Intensivierung der Ehe- und Familienbildung investiert werden (vgl. NICHD Early Child Care Research Network 2003c; Belsky et al. 2007). Belsky (2002) plädiert auch für einen langfristigen, bezahlten Erziehungsurlaub und für eine Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung, so dass Unter-Dreijährige und Kleinkinder erst relativ spät und dann nur für wenige Stunden am Tag fremdbetreut werden müssten. Ferner sollte das Steuerrecht Familien begünstigen, die kleine Kinder weitgehend in der Familie erziehen.“ (Textor im online-Kindergartenhandbuch!)

Was brauchen Kinder? Jedenfalls keine Fremdbetreuung !

Hamburger Abendblatt   

Michael Schulte-Markwort , Facharzt für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Ansichtssache

Um es gleich vorwegzunehmen: Frauen haben ein Recht auf Selbstbestimmung – und Männer ebenfalls. Das gilt selbstverständlich auch für Mütter und Väter. 

Das Selbstbestimmungsrecht für Kinder müssen Mütter und Väter übernehmen, und je jünger die Kinder sind, desto eindeutiger und entschlossener müssen sie dies tun – und an den Bedürfnissen des Kindes entlang. In der aktuellen Diskussion um die Krippenplätze kommt dies kaum vor, vielmehr bewegt sich die Diskussion polemisch zwischen dem konservativen Heimchen am Herd (als wenn der Herd eine gelungene Metapher für Kinderversorgung wäre!) und der kalten erfolgsorientierten Emanze (als wenn emanzipierte Mütter sich nicht um Kinder kümmern könnten!). Auf der Strecke bleiben einmal mehr die Kinder, weil deren Bedürfnissen kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird. 

Was also brauchen Kinder? Kinder brauchen eine liebende, einfühlende, verlässliche, kontinuierliche, fördernde und Halt gebende Beziehung. Eine? Nein, es dürfen auch mehr sein, wenn sie eindeutig hierarchisiert sind, d. h. wenn es z. B. wie in einer Großfamilie wichtige und weniger wichtige bzw. unwichtige Beziehungen für das Kind gibt. Die Wichtigkeit entsteht durch emotionale Nähe und Verantwortlichkeit. Mütter haben in der Regel schon vor der Geburt neun Monate Beziehung zu ihrem Kind gelebt. Das kann niemand aufholen, auch wenn Väter oder Adoptivmütter dem bisweilen nahekommen können (immerhin kann man uns Vätern jedes Kind mit der Behauptung auf den Arm legen, es sei unseres, und wir werden entzückt und im selben Moment schon etwas verliebt das kleine Wesen bei uns aufnehmen). Eine gelungene Beziehung zwischen Mutter und Kind bleibt einmalig. Keine Form der Fremdbetreuung kann dies ersetzen! Eine sichere Bindung ist eine wesentliche Voraussetzung für seelische Gesundheit und ein gutes Leben. 

Natürlich gibt es wirtschaftliche Situationen, unter denen eine Mutter arbeiten muss – und es gibt auch emotionale Bedingungen einer Mutter, unter denen es besser ist, dass das Kind zumindest teilweise fremdbetreut und professionell versorgt wird. 

Aktuelle Studien belegen, dass fremdbetreute Kinder aggressiver, auffälliger im Sozialverhalten und schlechter in ihrer sprachlichen Entwicklung sind als diejenigen, die bei ihren Müttern gelebt haben. 

Diese Ergebnisse dürfen nicht dramatisiert, aber auch nicht bagatellisiert werden. Zumindest kann man daraus ableiten, dass die Versorgungsstrukturen in jedem Fall verbessert werden müssten: spezialisierte Lehrer mit kleinen Gruppen von Kleinkindern statt ungenügend ausgebildete Erzieherinnen mit respektlosen Gruppengrößen. Schon lange liegen auch aus Deutschland wissenschaftliche Ergebnisse der Bindungs- und Längsschnittforschung vor, die uns lehren könnten, was Kinder brauchen – eine Fremdbetreuung ist es in der Regel jedenfalls nicht! Insofern geht es gar nicht um Ansichten, sondern um die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse. 

Dass Mütter spätestens bei der Rente nach wie vor bestraft werden für ihre Zeit der ausschließlichen Mutterschaft, ist allerdings ebenfalls ein Skandal, der unsere Geringschätzung von Mutterschaft ebenso markiert wie unsere Respektlosigkeit Kindern gegenüber. Es kann nicht sein, dass wir nicht in der Lage sein sollten, diese Ungerechtigkeit auszugleichen. Jede Mutter, die keinen Krippenplatz in Anspruch nimmt, sollte mit entsprechenden Anreizen für ihre Rente versorgt werden. 

Kinder bedeuten Verzicht. Kinder bedeuten aber auch einen einmaligen Reichtum. Solange wir nur auf uns, auf unsere Bedürfnisse achten und uns diese gegenseitig vorwerfen, so lange geht es einmal wieder nicht um unsere Kinder – die geborenen wie die hoffentlich unzähligen ungeborenen. 

© Hamburger Abendblatt 2018 – Alle Rechte vorbehalten.

Information für Interessierte, die daran mitarbeiten wollen, die Gesellschaft und Eltern für die Probleme der kleinen Kinder bei einer zu frühen Krippenbetreuung zu sensibilisieren:

Seit dem Herbst 2020 gibt es einen Initiative, die sich in Folge des

Aufrufs zur Wende in der Frühbetreuung. Arbeitsgruppe Frühbetreuung der Arbeitsgemeinschaft Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie (SKEPT) in der Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten Deutschland e. V. (VAKJP), 26.05.2020

gebildet hat und aus der 2022 ein Verein entstanden ist: https://fruehe-bindung.de/