Übersicht bekannter Studien zur Kitabetreuung U3
Autor: Gisela Geist
Vorbemerkung
In den letzten Jahren hat die Fremd- und Gruppenbetreuung zwischen 0 und 3 Jahren eine rasante Entwicklung genommen, bei welcher sich Wirtschaft, Politik – egal welcher Couleur – und Medien weitgehend einig zu sein scheinen. Sie berufen sich häufig auf die unten genannte NICHD-Studie.
Kurze Zusammenfassung der meist genannten Ergebnisse der viel zitierten NICHD-Studie
Gemeint ist damit eine Studie des amerikanischen Forschungsinstituts National Institute of Child Health and Human Development (NICHD). Sie heißt genau: NICHD Study of Early Child Care (1). Sie lief von 1991 bis 2009 und untersuchte 1350 Kinder und Familien. Die Kinder wurden möglichst zwischen Geburt und 12.Lebensjahr beobachtet. Häufig werden die Ergebnisse folgendermaßen zusammengefasst:
In Hinblick auf die soziale Entwicklung des Kindes habe sich ein leicht negativer Effekt einer frühen außerfamiliären Betreuung gezeigt. Hinzugefügt wird: jedoch habe dies für die meisten Kinder im Normbereich gelegen.
Zusammenfassend wird festgestellt, dass den Befunden der NICHD Early Child Care Studie zufolge eine außerfamiliäre Betreuung als solche weder positive noch negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern habe. Teilweise werden sogar kognitive sowie soziale Vorteile bei Krippenkindern beschrieben.
Der Einfluss des familiären Umfelds wird insgesamt als wirkungsvoller beschrieben als der der Krippe.
Diese und ähnliche Aussagen werden von der Gesellschaft und den Medien gerne zitiert und genutzt und haben die öffentliche Meinung weitgehend geprägt. In Politik und Medien wird auch häufig von „Chancengleichheit“ oder von „frühkindlicher Förderung in Tageseinrichtungen“ gesprochen. (2)
Kritische Betrachtung einseitiger oder politisch angepasster Interpretationen der NICHD-Studie und Vergleich mit anderen Studien
Die NICHD-Studie ist auch anderen Wissenschaftlern zugänglich.
Bei der Interpretation der NICHD-Studie kam und kommt es immer noch zu erbitterten Auseinandersetzungen. Vorwiegend wurden von der Presse positive Auswirkungen von „Day care“ veröffentlicht. Wie wir weiter unten sehen, liefert jedoch diese Studie selbst viele Belege für nachteilige Auswirkungen von Krippenbetreuung auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.
Einer der prominenten Kritiker ist Prof. Jay Belsky.
Belsky
Der Entwicklungs- und Familienforscher Prof. Jay Belsky hat die NICHD-Studie mitbegründet und begleitet. In einem Interview am 04.10.2015 (3) sagt er zusammenfassend:
Kinder sind umso ungehorsamer und aggressiver, je länger sie in Kitas betreut werden.
Dem Vorwurf, er sei Krippengegner entgegnet er, dass er weder Krippenbefürworter noch Krippengegner sei, sondern Entwicklungswissenschaftler, der unvoreingenommen die Auswirkungen von Krippenbetreuung studiere.
2003 beklagt sich Belsky in einer Veröffentlichung „The Politicized Science of Day Care“ (4) über einseitige Interpretationen der Auswertungen, insbesondere was Aggression und Verhaltensstörungen angeht, während Ergebnisse wie z.B. frühes Schreiben und Rechnen als kognitive Vorteile interpretiert und besonders hervorgehoben werden. Bezüglich der kognitiven Entwicklung konnte die NICHD-Studie langfristig positive Effekte nur bei sehr hoher Betreuungsqualität nachweisen.
Dabei ist zu bemerken, dass die amerikanischen Kitas ausgesprochen schulisch ausgerichtet sind auf den möglichst frühen Erwerb von Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen – dies in einem Alter, wo es nach Erkenntnissen von Hirnforschung und Psychologie vor allem um die Entwicklung emotionaler Grunderfahrungen und Kreativität geht.
Überdies wurde festgestellt, dass sich im Laufe der Schulzeit dieser Vorsprung früher oder später verlor.
Rainer Böhm, Leitender Kinderarzt und Neuropädiater des Sozialpädiatrischen Zentrums Bielefeld, berichtet, dass zwar einige frühere US-Studien signifikante Verbesserungen nach früher Tagesbetreuung beschrieben. Es handelte sich hierbei aber um Intensivbetreuung in Hochrisiko-Kollektiven, bei denen zudem regelmäßige Elternschulung eingesetzt wurde, die für den positiven Effekt auch bedeutsam gewesen sein könnte. (5)
Mehr zur kognitiven Entwicklung und Krippenbetreuung siehe in „Wohl der Kleinsten“, Kapitel 3: Ergebnisse der Hirnforschung/Neurobiologie oder in „Studien“, Stresshormon Cortisol und Neurobiologie.
Die NICHD-Studie ergab nach Belsky (4) bei unvoreingenommener Interpretation auch Hinweise auf einen Einfluss von Krippenbetreuung auf die Eltern-Kind-Beziehung:
Die Studie habe ergeben, dass Mütter, deren Kinder in Tagesbetreuung waren, tendenziell weniger sensibel auf ihre Kinder eingehen konnten.
Weiter konnte bei 15 Monate alten Kindern festgestellt werden, dass die unsichere Bindung zunahm, wenn die Mutter geringe Sensibilität für ihr Kind hatte und außerdem die Fremdbetreuung mehr als 10 Stunden die Woche betrug.
Untersuchungen bei 3-Jährigen ergaben:
Je mehr Zeit die Kleinen die ersten 3 Jahre in Fremdbetreuung gewesen waren, desto negativer waren die Auswirkungen auf die Mutter-Kind-Interaktionen.
Letzteres Ergebnis wurde nach einer Kinder-Entwicklungs-Konferenz in einer Pressemitteilung irgendwo kleingedruckt auf der 3. Seite veröffentlicht.
Die positiven Ergebnisse für eine Krippenbetreuung erschienen dagegen auf der ersten Seite und waren hervorgehoben gedruckt:
„Gute Qualität in der Krippenbetreuung prognostiziere bessere kognitive und sprachliche Entwicklung, wenn die Kinder 2 und 3 Jahre alt seien.“
Gesteigerte Verhaltensauffälligkeiten wie Ungehorsam und Aggression wurden teilweise uminterpretiert als bessere Durchsetzungskraft oder Selbständigkeit.
Ein weiteres Beispiel für eine ähnlich einseitige Auswertung:
Gerne und oft wird die NICHD-Studie folgendermaßen zitiert: „Kinder, die in den ersten Lebensjahren nicht von der Mutter betreut wurden, zeigten mit 4,5 Jahren keine grundsätzlich andere Entwicklung, als von der Mutter betreute“
- Dabei wurden alle Formen nicht-mütterlichen Betreuung betrachtet, auch familiär betreute, z.B. von Vater, Großeltern, Kinderfrau.
- Verglich man hingegen die in Krippen betreuten Kinder mit den mütterlich und familiär betreuten Kindern, so wiesen die Krippenkinder mehr Verhaltensprobleme schon mit 4 Jahren auf: aggressiver, oppositioneller oder sozial zurückgezogener.
(Siehe hierzu auch weiter unten unter sonstige Studien: „A Sibling Comparison Study“)
Die in der NICHD-Studie signifikant erhöhten Verhaltensstörungen bei ehemaligen Krippenkindern im Vorschulalter wurden genauer untersucht und differenziert.
Folgende Verhaltens-Kategorien wurden dabei verwendet:
- Unangemessen: Angeberei, streiten, Eifersucht, Clown spielen, ständig reden, hänseln/ärgern, Ungeduld, viel schreien, trotzig/frech.
- Ungehorsam/widerständig: dazwischenreden, ungehorsam, aufsässig, stört andere, stört Gruppe.
- Aggressiv: Schlägereien, gemein/grausam, körperlich angreifen, Wutanfälle, zerstört eigene Sachen.
(zitiert nach Belsky und Böhm (6))
Alle Kategorien zeigten sich erhöht, je früher und je länger die Kinder früh-, fremd- und gruppenbetreut waren, desto mehr.
Somit können die propagierten Vorteile im Sozialverhalten durch Krippenbetreuung nicht aufrechterhalten werden. In weiteren internationalen Untersuchungen wird dies bestätigt, wie auch in den folgenden Studien erkennbar wird.
„Es ist nicht länger haltbar, dass Entwicklungswissenschaftler und Krippenverfechter verleugnen, dass frühe und extensive Krippenbetreuung ein Risiko für kleine Kinder und vielleicht für die ganze Gesellschaft darstellt“. (Belsky, 2007, zitiert nach Burghard Behncke, Diplompädagoge (7))
Belsky hält die NICHD-Studie insgesamt für wissenschaftlich sauber und ausgewogen, (einschließlich objektiver Tests und Verhaltensbeobachtungen), nicht jedoch die Zusammenfassungen für die Öffentlichkeit.
Hier sieht er eine unterschiedliche Bewertung der Ergebnisse der frühen und lange dauernden Fremdbetreuung. Der – wenn auch unter bestimmten Bedingungen geringe vorübergehende – positive Effekt bei kognitiven Fähigkeiten wird hervorgehoben, während negative Effekte wie verstärkte Externalisierungen bzw. Verhaltensauffälligkeiten und gesteigerte Aggressivität vernachlässigt und kleingeredet werden. Er weist darauf hin, dass die Untersuchungen insgesamt vielfach belegen, dass Krippenbetreuung ein Risikofaktor für die Entwicklung der Kinder bedeutet, was der Öffentlichkeit nicht vermittelt wurde. Das interpretiert er als Einknicken der Wissenschaft vor der Politik. Er bedauert, dass viele Millionen Steuergelder bereitgestellt wurden, ohne dass die Öffentlichkeit tatsächlich davon profitieren konnte bzw. wahrheitsgemäß über die Studienergebnisse informiert wurde. Seine Schrift: „The Politicized Science of Day Care“ (4) heißt daher übersetzt so viel wie: „Die von der Politik für ihre Zwecke genutzte wissenschaftliche Forschung zur Tagesbetreuung“.
Der Familientherapeut Jesper Juul fasst es sinngemäß in „Wem gehören unsere Kinder?“ so zusammen:
„Kitas dienen dem wachsenden Bedarf der Gesellschaft und der Wirtschaft an Erwerbs- tätigen. Sie wurden nicht eingerichtet, um die Bedürfnisse der Kinder zu erfüllen.“ (8)
Annika Pogner legt 2015 (9) u.a. ausführlich wirtschaftliche und politische Interessen an Kitas dar.
Rainer Stadler beschreibt u.a. in seinem Buch: „Vater – Mutter – Staat“ (10), wie aus ökonomischen Gründen Politik und Wirtschaft den massiven Ausbau der Kinderbetreuung betreiben.
Steve Biddulph
Wissenschaftler an der Universität in Melbourne, Autor und Familientherapeut fasst die NICHD–Studie folgendermaßen zusammen (11):
„Für Kinder, die bereits sehr früh und intensiv über einen langen Zeitraum hinweg in einer Gruppe fremdbetreut werden, bestehen ernsthafte Risiken.
Dies waren die drei Risikofaktoren: zu viel, zu früh, zu lang.
Diese Kinder hatten einige Persönlichkeitsveränderungen erfahren.
Als sie in die Grundschule kamen, zeigten sie vermehrt unangemessenes Verhalten, insbesondere Aggressionen und Ungehorsam gegenüber Erwachsenen und Lehrern“.
Die Anzahl der verhaltensgestörten Kinder war bei den Kindern mit früher und langer Tagesbetreuung fast 3 Mal so hoch wie bei den zu Hause betreuten.
Early Childhood Longitudinal Study (ECLS-K)
Diese Langzeit-Studie mit 14.000 Kindern von 1998 – 2007 in USA ergab, dass im Vergleich zu familiärer Betreuung die Krippenbetreuung Fähigkeiten wie frühes Lesen und Schreiben verbessert – sie führt aber zu vermehrten Verhaltensauffälligkeiten.
Lesen und Rechnen verbesserte sich am deutlichsten, je später sie in Tagesbetreuung kamen, nämlich zwischen 2 und 3 Jahren.
Der negative Verhaltenseffekt war umso größer, je früher der Beginn der Betreuung.
(nach R. Böhm, (6)).
Penelope Leach
Dr. Penelope Leach, führende Entwicklungspsychologin in England und Leiterin der großen britischen Studie „Families, Children and Child Care“ FCCC: äußert sich zusammenfassend folgendermaßen (zitiert nach (6)):
„Studienergebnisse aus der ganzen Welt zeigen ziemlich eindeutig, dass je weniger Zeit Kinder unter 3 Jahren in Gruppenbetreuung verbringen, desto besser für sie.“
Und weiter: Irgendwann jenseits des Alters von 2 Jahren, wenn Kinder stärkere Beziehungen untereinander als zu Erwachsenen aufbauen, beginnt qualitativ hochwertige Gruppenbetreuung klare Vorteile zu zeigen.“.
Jenet I. Jacob
R. Böhm leitet in seinem Vortrag „⃰Cortisol versus Bindung“ vom 28.02.2015 auf der Didacta (12) ein frühkindliches Achtsamkeits- und Empathiedefizit durch Krippenbetreuung ab. Er verweist auf eine Bewertung von 15 Studien durch Jenet I. Jacob, die zwischen 1998 und 2006 erschienen sind. Diese kommt u.a. zu folgenden Ergebnissen:
- Durchschnittliche Wochenstunden früher, außerfamiliärer Tagesbetreuung sind der Faktor, der am stärksten und konstantesten mit dem späteren Sozialverhalten verbunden ist.
- Umfangreiche, außerfamiliäre Tagesbetreuung ist für das gesamte frühe Kindesalter mit geringerer Sozialkompetenz und Kooperationsfähigkeit, vermehrtem Problemverhalten, schlechterer Stimmungslage, sowie aggressivem und konflikthaftem Verhalten verbunden.
Nachuntersuchungen NICHD, Vandell
In einer Nachuntersuchung der NICHD–Studie bei 15-Jährigen ehemals früh- und fremdbetreuten Kindern, nach Vandell, 2010 (sie ist ebenfalls Mitautorin der o.g. NICHD-Studie), wird signifikant vermehrt impulsives und risikoreiches Verhalten festgestellt, wie:
- Alkoholkonsum
- Rauchen
- Drogenmissbrauch
- Waffengebrauch
- Stehlen
- Vandalismus
(unabhängig vom sozialen Hintergrund der Familien) zitiert aus (12)
Roisman
Eine weitere NICHD-Langzeitstudie von Roisman, 2009 (12) mit 863 15-jährigen Jugendlichen mit ungünstig verändertem Cortisol*-Spiegel und Stress-Regulationsstörungen hat ergeben, dass sie als Kinder zu Hause vernachlässigt wurden oder aber schon früh in der Krippe betreut wurden (unabhängig von der Betreuungsqualität!). Dabei entsprachen sich die Werte in etwa. Außerdem wurde festgestellt, dass sich die beiden negativen Effekte addierten. (Child Development, May/June 2009, Volume 80, Number 3, Pages 907-920 https://www.jstor.org/stable/29738661?seq=1 – page_scan_tab_contents),
Dazu mehr unter „Studien“, Stresshormon Cortisol und Neurobiologie.
*(Cortisol ist ein körpereigenes Hormon, das bei Stress ausgeschüttet wird)
Grossmann
Langzeitstudien von Grossmann K, Grossmann KE (2012): „Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit“ (12) ergaben folgende Ergebnisse für familiär betreute Kinder:
- mit 4 Jahren: längere Konzentrationsdauer, bessere selbständige Konfliktlösung, höheres Einfühlungsvermögen
- als Jugendliche: offener, beherrschter, weniger vermeidend, positiveres Selbstbild und Einschätzung durch andere
- als junge Erwachsene: bessere Beziehungs- und Partnerschaftsfähigkeit
Averdiyk et al.
Im Züricher Projekt zur sozialen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen (z-proso-Datensatz untersucht unter Averdiyk et al., (7) und (12), 2004 bis 2011) wurden 1225 Kinder bei der Einschulung untersucht. Auch bei kompletter mehrdimensionaler Analyse zeigte sich eine signifikante Korrelation zwischen zeitlichem Umfang außerfamiliärer Gruppen-betreuung unter drei Jahren und allen 4 Kategorien von Verhaltensauffälligkeiten, welche alle anstiegen:
- Aggression
- ADHS (motorische Unruhe, emotionale und Konzentrations-Störungen)
- Nichtaggressive Verhaltensstörungen
- Angst und Depression
Dabei wirkte sich außerfamiliäre Gruppenbetreuung stärker aus als andere Risikofaktoren wie z.B. Alleinerziehungsstatus, elterliche Trennung nach Geburt oder Armut.
Meist wurde in der Folge ein linearer Anstieg über die Altersstufen festgestellt, was heißt, dass sich die Problematik erst später und da zunehmend zeigt.
Dies spricht nicht für die Förderung von unterprivilegierten Kindern, was unter dem Stichwort Chancengleichheit von den Befürwortern von Kitas häufig angeführt wird.
Quebec-Studie
In Quebec wurde 1997 – 2005 hoch subventionierte Tagesbetreuung ab Geburt mit Qualitätssicherung angeboten.
Die Tagesbetreuung stieg um das 3-fache. (13)
Bei vergleichenden Untersuchungen vor und nach Einführung und auch im Vergleich zu den Kindern der anderen Bundesstaaten fiel in der Langzeitstudie bei diesen Kindern auf, dass sie sich in den meisten Dimensionen verschlechtert hatten.
Nach (13) und (7) zusammengefasst:
- Deutliche Zunahme von ADHS (Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit)
- Aggressivität, Angst. (Die Zunahme war erheblich)
- Verschlechterung sozialer Kompetenzen
- Verschlechterung motorischer Kompetenzen
- Verschlechterung des Gesundheitszustands
Ferner negative Effekte auf Elternseite:
- Verschlechterung aller Eltern-Kind-Interaktionsparameter
(u.a. Zunahme feindseliger und inkonsistenter Erziehung) - schlechtere elterliche physische und psychische Gesundheit
(Gesundheitsprobleme, Stresserscheinungen, Depressionen) - Verschlechterung der Elternbeziehung
Quebec-Studie 2019
Die Quebec Studie wurde weitergeführt, wobei sich die Ergebnisse weiterhin bestätigten. Externe Kinderbetreuung war z.B. mit einer schlechteren Selbsteinschätzung und einer Steigerung der Kriminalitätsrate um 20 % im Alter von 12 – 20 Jahren verbunden.
Baker M., Gruber J., & Milligan K. (2019). The long-run impacts of a universal child care program. American Economic Journal: Economic Policy, 11(3), 1–26.
Norwegische Studie und Dresdner Studie
Einige Studien – und gerade solche, die Gleichwertigkeit oder Vorteile der Gruppen-Fremdbetreuung betonen, haben ausschließlich Mütter- bzw. Eltern-Fragebögen zur Datenermittlung eingesetzt. Beispiele dafür sind die Norwegische Studie (Lekhal, 2012)(14), in welcher Mütter zu ihren 1 ½ und 3-jährigen Kindern und die Dresdner Studie (J. Schmitt, 2015)(15), in welcher Eltern zu ihren 5-6-jährigen Kindern befragt werden. Dabei ist zu bedenken, dass durch Selbstangabe der Eltern Verzerrungen und Beschönigungen auftreten können. Beispielsweise können Eltern, die ihre Kinder in Ganztagsbetreuung geben, möglicherweise schon aufgrund der eingeschränkten gemeinsamen Zeit, weniger Einblick und Einfühlung in ihre Kinder haben. Dazu trägt auch bei, dass sicher gebundene Kinder, die ihre Eltern verlässlicher zur Verfügung haben, diesen tendenziell deutlicher ihre Gefühle und Probleme zeigen.
Zu bedenken ist außerdem bei den Ergebnissen (wie z.B. die NICHD- und andere Studien belegen), dass sich Verhaltensauffälligkeiten meist erst im späteren Alter manifestieren.
Studien, die ihre Ergebnisse auf mehrere Untersuchungsmethoden stützen (oder aber auf objektiv erfassbare Größen, wie die Cortisol-Messungen), sind aussagekräftiger als eindimensionale mit außerdem ungenauen Methoden (z.B. Elternfragebögen).
Vergleicht man beispielsweise die Dresdner Studie (2015) mit der Schweizer Studie von Averdijk (2011, s.o.), so betrachtet letztere noch weitere wichtige Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen können, wie z.B. Betreuungsdauer pro Tag/Woche und Kumulation der Fremdbetreuung in einer Kita über die Jahre; die psychische Gesundheit der Mutter wird einbezogen, sowie problematisches Erziehungsverhalten und Konflikte zwischen den Eltern und/oder Erziehern, außerdem das Haushaltseinkommen.
Die Studie von Averdiyk nutzt des Weiteren als Untersuchungsmethoden neben Eltern- auch noch Lehrerfragebögen, setzt außerdem Interviews ein und einen Maltest mit den Kindern.
Beide Studien untersuchen Kinder ca. im gleichen Alter auf ihre psych. Gesundheit hin. (Dresdner bei Einschulung, Averdijk im ersten Schuljahr). Die Studien sagen genau das Gegenteil aus:
Dresdner: Je früher Krippenbetreuung, desto besser die psychische Gesundheit, desto bessere Entwicklungschancen.
Averdiyk: Je früher und länger die Krippenbetreuung, desto mehr Risiko für die kindliche Entwicklung.
Studie über Krippenkinder in der DDR, 2023
„Frühkindliche Betreuung in der ehemaligen DDR und psychische Belastung im Erwachsenenalter“
Diese Studie (veröffentlicht Dez. 2023), ging durch die Medien:
- in der Berliner Zeitung online erschien am 6.4.24,12.30h ein reißerischer Artikel mit der Überschrift:
„Das Klischee vom Krippentrauma“
DDR-Krippenkinder: Die Psyche nahm keinen Schaden
https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/kinderbetreuung-in-der-ddr-das-klischee-vom-krippentrauma-li.2202333?id=9f910e9ab3e846d69d24b03f2e52df4b
2) Im Deutschen Ärtzteblatt vom April 24 wird über die Studie etwas ausführlicher berichtet. https://www.aerzteblatt.de/archiv/238115/lit.asp
Ergebnis der Studie:
Es zeigten sich keine Unterschiede bei Depressivität, Somatisierungs- oder Angststörungen wenn die erstmalig unter oder ab drei Jahren extern Betreuten mit den im Vorschulalter nicht extern Betreutenverglichen wurden.
Mit der „Schlussfolgerung“:
Ein Zusammenhang frühkindlicher Betreuung in Tageseinrichtungen der ehemaligen DDR mit psychischer Belastung im Erwachsenenalter konnte nicht gefunden werden.
27 Studienteilnehmer waren als Kinder in Wochenkrippen oder über längere Zeiträume von ihren Eltern getrennt, ihnen ging es psychisch schlechter. Die Gruppe sei aber zu klein, um die Ergebnisse sinnvoll auszuwerten, schreiben die Forscher.
Diese Studie schauen wir uns etwas genauer an:
Es wurden 1575 Menschen zu ihrer psychischen und physischen Gesundheit während der letzten 1 oder 2 Wochen befragt. Sie waren zwischen 1949 und 1983 in der DDR geboren und dort aufgewachsen.
Die Teilnehmer, die unter 6 Jahren (U3 und Ü3 zusammen genommen) irgendwann erstmalig außerfamiliär betreut wurden, werden mit denjenigen verglichen, die vor dem Schulalter gar nicht außerfamiliär betreut wurden.
Es wurde also nicht differenziert zw. Auswirkungen der Fremdbetreuung beginnend unter 3 Jahren (nur das kann „frühkindliche“ Betreuung genannt werden!) im Vergleich zu Betreuten Kindern ab dem Alter von 3Jahren, also ab dem Kindergartenalter.
Außerdem wurde nicht differenziert zw. dem Umfang der Betreuung, z.B. Ganztags- und Halbtagsbetreuung.
Das wären jedoch die entscheidenden Faktoren für fundierte Aussagen gewesen!
Es wurden also Kinder, die irgendwann unter 6 Jahren irgendwie lange außerfamiliär betreut wurden verglichen mit denen, die unter 6 Jahren gar nicht außerfamiliär betreut wurden.
Hierzu muss man auch die besondere Situation in der DDR einbeziehen:
In der DDR war es äußerst selten, dass U3-Kinder und besonders Ü3-Kinder vor dem Schulalter nicht in externer Betreuung waren. So stellt sich auch die Frage, wie die Größe/Gewichtung der hier verglichenen Gruppen war. In den Wochenkrippen waren damals allerdings relativ viele Kinder. Warum in der Studie nur 27 von insgesamt 1575?
Familien die der externen Betreuung nicht folgten, erfuhren erhebliche staatliche Repressionen: Sie fielen unter den Asozialen-Paragraphen und selbst eine Mutter, die 7 Kinder selbst betreute, bekam folgenden Eintrag beim Amt: sie sei ein asoziales Element und habe sich hartnäckig der Arbeit entzogen. Nicht zu „arbeiten“ war eine Straftat. Solche Familien wurden in vielerlei Hinsicht benachteiligt: z.B. bei der Wohnungszuteilung, mit häufigen und nicht angesagten Kontrollen vom Jugendamt, sie litten unter Armut, wurden vom sozialen Umfeld als asozial ausgegrenzt und diffamiert. Solche Familien und Kinder litten also unter anderen schwerwiegenden Problemen, die sich auf ihre Entwicklung nachteilig auswirken konnten:
1. Ausgrenzung, Vereinsamung, Armut und Entwertung (was sich in der Schule fortsetzte)
2. kaum bis gar keine anderen Gleichaltrigen zum Spielen, was ca. ab 3 Jahren ein gesundes Bedürfnis wird.
Diese beiden Gruppen werden in dieser Studie also verglichen:
die Kinder, die unter 6 Jahren irgendwann außerfamiliär betreut wurden, z.B. auch erst ab 3 oder 4 Jahren (ganz- oder halbtags) mit den Kindern der Gruppe, die U6 gar nicht außerfamiliär betreut wurden und i.d.R. enormen wirtschaftlichen und sozialen Problemen ausgesetzt waren.
Um die unsaubere Darstellung noch weiter zu treiben, wird pauschal von Frühkindlicher Außerfamiliärer Betreuung gesprochen (Siehe Schlussfolgerung), so schließt der Leser auf die tatsächlich frühbetreuten Kinder, nämlich die, die schon unter 3 Jahren extern betreut wurden.
So können solche Aussagen zustande kommen, die sich auf „neueste Studien“ berufen:
DDR-Krippenkinder: Die Psyche nahm keinen Schaden
Diese Studie wurde unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Es ist bekannt, dass die Auftraggeber/ Unterstützer die Studienergebnisse beeinflussen)
So werden Studienergebnisse manipuliert
Weitere Hinweise auf Untersuchungen in Deutschland, die den obigen Studienergebnissen widersprechen:
„Krippenkinder in der DDR„
Die Psychoanalytikerinnen Agathe Israel und Ingrid Kerz-Rühling haben ein psychologischen Fachbuch „Krippenkinder in der DDR“ (1.Aufl. 2008) geschrieben, in dem sie mit 20 ehemaligen Krippenkindern aus der DDR eingehende Gespräche führten und diese nach verschiedenen Gesichtspunkten sorgfältig analysierten. Das Ergebnis ist:
Frühe außerfamiliäre Betreuung, frühe Trennungserfahrungen, der Mangel an verlässlichen Bezugspersonen standen in Zusammenhang mit:
- wenig Beziehung zur eigenen Gefühlswelt, mangelnde Empathiefähigkeit, entsprechend eingeschränkte (Selbstentwicklung und) Sozialkompetenz,
- eine hohe, kritiklose Anpassungsbereitschaft, bei manchen dagegen eine distanzierte Protesthaltung,
- häufig chronische körperliche, psychosomatische und psychische Erkrankungen. (vom KiGa- und Schulalter an bis ins Erwachsenenalter)
- fortgeschriebene Stressbelastung
- eingeschränkte Bewältigungsmöglichkeit von Schwellen- und Konfliktsituationen
- Gehäuft schwere Wochenbettdepressionen (insg. psychische Störungen im Zusammenhang mit Muttersein)
(siehe Zusammenfassung S.282-290)
Eine Studie vom Juni 2019, die ebenfalls der obigen DDR-Studie widerspricht:
Deutsche Längsschnittstudie, 2019
„Auswirkungen außerfamiliärer frühkindlicher Betreuung auf die Entwicklung psychischer Auffälligkeiten, Risikoverhaltens und schulischer Leistung im Jugendalter“
(Wolfgang Schulz, Tim Bothe und Kurt Hahlweg)
Online veröffentlicht: June 21, 2019 https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000288
In dieser deutschen Längsschnittstudie an 249 Familien wird über 10 Jahre hin untersucht, welche Auswirkungen Außerfamiliäre frühkindlichen Betreuung (AFB) auf die Entwicklung psychischer Auffälligkeiten, Risikoverhalten und die Schulleistung im Jugendalter (M=14.4 Jahre) hat.
Ergebnis:
AFB führt im Vergleich zu elterlicher Betreuung zu signifikant höheren Werten psychischer Auffälligkeiten im Jugendalter.
Je früher das Eintrittsalter in die institutionelle Betreuung desto mehr.
Der Einfluss der AFB auf die Schulleistung war geringer (eine etwas bessere Schulleistung im Jugendalter konnte lediglich bei Migranten gemessen werden – psychische Auffälligkeiten und Risikoverhalten jedoch nicht ausgeschlossen)
Sonstige Studien
Häufig werden weitere Studien zitiert, die die Gleichwertigkeit von mütterlicher/familiärer Betreuung mit Krippenbetreuung /Fremdbetreuung für die kindliche Entwicklung beschreiben oder Vorteile der Krippenbetreuung hervorheben.
So wird z.B. eine britisch-amerikanische Studie von Jaffe/Van Hulle/Rodgers angeführt: „Effects of Nonmaternal Care in the First 3 Years on Children’s Academic Skills and Behavioral Functioning in Childhood and Early Adolescence:
A Sibling Comparison Study“ (2011)
Diese Studie möchte ich etwas genauer darstellen, um deutlich zu machen, wie Forschungsdesigns oft angelegt werden. Befragt wurden Eltern von Kindern bis ins Alter von ca.12 Jahren. Es wurden insgesamt 9 185 Kinder untersucht, davon 3 120 im innerfamiliären Vergleich bzw. Geschwistervergleich (16)
Die Studie hat zwei Teile: im 1. Teil vergleicht sie Kinder aus unterschiedlichen Familien
“in-between-Family”, im zweiten Teil vergleicht sie Geschwisterkinder, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Fremdbetreuung gegeben wurden.
Die Studie berichtet im ersten Teil von Vorteilen für die kindliche Entwicklung von „nicht-mütterlicher Betreuung“ gegenüber „mütterlicher Betreuung“ während der ersten 3 Lebensjahre bezüglich Verhalten und kognitiven Fähigkeiten.
Diese Ergebnisse mit dem “in –between-Family-Vergleich” kann man jedoch außer Acht lassen. Die Studie belegt selbst, dass hier völlig ungleiche Elternhäuser miteinander verglichen wurden! Kinder die vor dem 3. Geburtstag in Fremdbetreuung gegeben wurden, kommen meist aus wesentlich besser gestellten Familien, Mütter haben höheren IQ, sind meist verheiratet, sind wohlhabender etc. Hier ist die Studie sehr sauber, da sie eine der wenigen ist, die sich mit der Ungleichheit der Vergleichsgruppen beschäftigt und selbst einräumt, dass die Ergebnisse dieses Studienteils, die Vorteile bei nicht mütterlicher Betreuung beschreiben, somit nicht kausal auf die Betreuungsformen zurückzuführen sind.
Interessanter ist der zweite Teil, in dem Geschwisterkinder verglichen wurden. Grundsätzlich ist das ein guter sauberer Ansatz, da hierdurch viele Verzerrungsfaktoren, die in der Ungleichheit der Familienverhältnisse liegen, umgangen werden. Das Ergebnis dieses Vergleichs ist, dass die Betreuungsform keine Unterschiede bezüglich Verhalten und kognitiven Fähigkeiten in der Entwicklung der Kinder aufweist.
Allerdings gibt es anderweitige Probleme im Forschungsdesign, die die Aussagekraft der Studie massiv einschränken bzw. unbrauchbar machen.
Die Studie vergleicht ebenso wie im „in between Family“-Vergleich im Geschwistervergleich Kinder, die vor dem 3. Geb. ausschließlich von der Mutter betreut wurden (maternal) mit Kindern, die auf irgendeine andere Art von anderen Menschen fremdbetreut wurden. Hier wird Krippenbetreuung, Tagesmutterbetreuung, Betreuung durch Verwandte oder Kinderfrau, sogar durch den Vater, etc. alles in einen Topf geworfen (non maternal). Als fremdbetreut gilt alles über 10 h pro Woche.
Es wird auch kein Unterschied gemacht, ob die Kinder beispielsweise 11, 20, 40 oder mehr Stunden/Woche „fremdbetreut“ wurden.
49% der Gruppe der sogenannten „fremdbetreuten Kinder“ unter 1 J. wurden von Verwandten (auch vom Vater) betreut – das kann man im eigentlichen Sinne nicht Fremd- und Gruppenbetreuung im untersuchenswerten Sinne nennen.
36% dieser Altersgruppe wurden von einer Kinderfrau oder Tagesmutter betreut. Dabei wird auch nicht unterschieden, ob im häuslichen Umfeld oder nicht.
Nur 14% der unter 1-Jährigen wurden in „Center Based Care“ (in Krippen) betreut.
Von den 1- 2 Jährigen wurden nur 21% und von den 2-3 Jährigen nur 34% in „Center Based Care“ (Krippe) betreut.
Der Anteil der Kinder in Krippen war also immer viel geringer war als der andere Teil.
Das heißt, in dieser Studie wird ausschließliche mütterliche Betreuung (maternal) verglichen mit jeglicher anderen Betreuungsform (non maternal), sofern sie 10 Stunden die Woche überschreitet.
Häufig wird irrtümlich (?!) daraus geschlossen, dass dabei familiäre mit Krippen-Betreuung verglichen wird.
Diese Ungenauigkeit ist auch bei einigen Aussagen der NICHD-Studie aufgetreten (s.o.)
Zu den inhaltlichen Ergebnissen:
Dass die pauschalen Vergleichsgruppen „maternal” und „non maternal care” keine Unterschiede aufweisen in Bezug auf Verhaltensauffälligkeiten (wie Aggressivität und ADHS) und kognitive Leistungen, hat evtl. auch damit zu tun, dass ausschließliche
Betreuung durch die Mutter über das erste Jahr hinaus nicht die beste Variante sein muss.
Eine Betreuung im familiären Kontext- z.B. abwechselnde Betreuung durch Vater, Mutter und ggf. ergänzend durch Oma oder andere Verwandte oder auch eine verlässliche Kinderfrau, ist vermutlich die gesündeste Variante, da hierbei nicht zu viel einseitige Belastung auf der Mutter liegt, das Kind jedoch von wenigen Menschen betreut wird, die ihm im angemessenen Rahmen weitere Anregungen und Bindungsmöglichkeiten bieten können, einen persönlichen Bezug zu ihm haben und außerdem nicht durch die parallele Betreuung zu vieler Kinder gleichzeitig überlastet sind wie in einer Krippe. Des weiteren ist die Reizüberflutung durch die Gruppensituation nicht gegeben, sowie der in der Krippe zwangsläufig häufige Betreuerwechsel. Siehe dazu beispielsweise in „Bindungssicherheit und Autonomieentwicklung„.
Diese Variante (ergänzende Betreuung durch beispielsweise den Vater oder Verwandte) fällt bei der in dieser Studie vorgenommenen Gruppierung aber in die Gruppe der “nicht mütterlich- bzw. fremdbetreuten” Kinder, was sogar der größere Anteil dabei ist. Somit konnten mögliche negative Effekte tatsächlicher Fremdbetreuung in Krippen (center based Care) durch diese positive Art der familiären Betreuung vermutlich ausgeglichen worden sein.
Weitere Kritikpunkte:
- Es wurden Auswirkungen untersucht bzgl. aggressivem Verhalten, ADHS, Kognitive Fähigkeiten.
Auswirkungen wie depressives Verhalten, was ebenso als häufige Folge von Fremd- und Gruppenbetreuung unter 3 Jahren nachgewiesen wurde, wird nicht untersucht. Depressive Kinder fallen eher nicht auf und zeigen sich oft besonders sozial angepasst und leistungsorientiert, um sich Zuwendung zu verdienen oder noch mehr Stress zu verhindern und so Beziehungsdefizite auszugleichen. Auch dies könnte zu einem „Ausgleich“ der Forschungsergebnisse führen, da dieses Verhalten im frühen Alter häufig als nicht gestört bzw. weitgehend als positiv gewertet wird. - Ein weiterer Kritikpunkt ist die ausschließliche Elternbefragung. Es fehlen objektive Tests, Verhaltensbeobachtungen, oder Messung des Stresshormons Cortisol (siehe auch unter Studien zu Cortisol)
- Es wurde nur bis zum frühen Jugendalter untersucht. Häufig zeigen sich erst im späteren Jugend- oder Erwachsenenalter soziale oder psychische Probleme.
Weitere Studien, die Vorteile der Krippenbetreuung für die kindliche Entwicklung betonen:
Bundesweite Kinder- und-Jugendsurvey (Hölling &Schlack, 2008).
Untersucht wurden Kinder zwischen 3 und 17 Jahren (17).
Aussage: “Kinder von Eltern, welche beide teil- und vollberufstätigen waren/sind, zeigen weniger Auffälligkeiten als Kinder nicht-berufstätiger Mütter“, jedoch:
- Zu wenig differenziert zwischen frühem und spätem Wiedereinstieg der Mütter und ob Teil- oder Vollzeit
- Langzeitarbeitslose Mütter können beispielsweise nicht mit Müttern verglichen werden, die in stabilen beruflichen Positionen sind.
Studie der Bertelsmann-Stiftung (Fritschi und Oesch, 2008).
Deren Aussage: Kinder die früh eine Krippe besucht haben, kamen mit 14% höherer Wahrscheinlichkeit ins Gymnasium als Nicht-Krippenkinder (18), jedoch:
- Ein Großteil der Kinder kam erst ab dem Alter von 2 Jahren in die Krippe
- Mehr Mütter/Väter mit guter Bildung, in höheren beruflichen Positionen gaben ihre Kinder um diese Zeit (2008) zu einem höheren Prozentsatz in Frühbetreuung. Ihre Einstellung bzgl. Bildung und Leistung beeinflusst die Anmeldung ins Gymnasium.
Eine Veröffentlichung der Konrad-Adenauer-Stiftung (2015) stellt eine positive Auswirkung einer mütterlichen Vollzeit-Berufstätigkeit auf die schulische Entwicklung der Kinder dar (19), jedoch nicht geklärt und differenziert sind:
- Berufstätigkeit: ab welchem Alter der Kinder,
- schulische Leistung bedeutet nicht gleich Wohlergehen und ist nicht gleichzusetzen mit guter Leistungsfähigkeit später in Hochschule oder Beruf.
- Es kann auch Ergebnis von Beziehungsdefizit sein, z.B. ein Versuch, Anerkennung und Selbstwertsteigerung durch Schul-Leistung zu bekommen – gerade bei leistungsorientierten Eltern. Später sind das oft Anorexie-Patienten oder Patienten mit Versagensängsten und Panikattacken.
Übrigens ist zu bedenken, dass manche Stiftungen und Studien von Wirtschaftsunternehmen finanziert sind und nicht unabhängig sein können von deren Interessen.
Entsprechend ausgerichtet sind sie in Forschungsdesign und Veröffentlichungen.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass Wissenschaftler in vielen groß angelegten, zuverlässigen Studien immer wieder zu dem Ergebnis kommen, dass Krippenbetreuung für Kinder unter 3 Jahren, je früher sie einsetzt und je länger sie dauert, umso mehr Risiko für die kindliche Entwicklung bedeutet. Dagegen erweist sich, dass die häusliche Erziehung weniger Risiken birgt. Und das, obwohl es auch hier Risikofaktoren gibt, wie Depression, Unzufriedenheit, Erziehungsfehler, getrennte Familien, mangelnde Zuwendung und Einfühlung usw.
Daher wird auch von namhaften Wissenschaftlern immer wieder gefordert, dass sowohl die Familienerziehung stärkere finanzielle, pädagogische und psychologische Unterstützung und Förderung erhält als auch die Qualität der Krippen verbessert wird.
Quellenangaben
- Info der National Institute of Health über NICHD-Studie auffindbar unter: https://www.nichd.nih.gov/research/supported/Pages/seccyd.aspx
- Auf Homepage des Bundesministerium für Familie, Senioren und Jugend Info über „Frühe Bildung“: http://www.fruehe-chancen.de/
- Interview mit Belsky in „bild der wissenschaft“ auffindbar unter: http://www.wissenschaft.de/archiv/-/journal_content/56/12054/1529710/Jay-Belsky/
- Jay Belsky: The Politicized Science Of Day Care, A Personal and Professional Odyssey, Family Policy Review, 2003
- Rainer Böhm: Auswirkungen frühkindlicher Gruppenbetreuung auf die Entwicklung und Gesundheit von Kindern, Sozialpädiatrie aktuell, 2011, auffindbar unter http://www.fachportal-bildung-und-seelische-gesundheit.de
- Rainer Böhm: Stress – das unterschätzte Problem früher Betreuung, Vortrag vom 5.3.2016, auffindbar im Fachportal, siehe (5)
- Burghard Behncke: Aktuelle Studien zu psychosozialem Stress in früher Kindheit, Vortrag vom 25.5.2013
- Jesper Juul: Wem gehören unsere Kinder? S.5, Beltz Verlag, 2012
- Annika Pogner: Fremdbetreuung von Kindern unter 3 Jahren, Eine pädagogische Auseinandersetzung mit einer gesellschaftlichen Forderung. Examensarbeit von 2015 (Das Buch ist als E-Book zu kaufen, Leseprobe im Internet verfügbar)
- Rainer Stadler: Vater – Mutter – Staat: das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung, Ludwig-Verlag, 2014
- Steve Biddulph: Was brauchen Kleinstkinder? in: „Mama, Papa oder Krippe?“ von E. Hermann und M. Steuer, 2010; im Internet als Leseprobe zugänglich, siehe (10)
- Rainer Böhm: Cortisol versus Bindung, Vortrag vom 28.2.2015 auf der Didacta, auffindbar unter: https://docplayer.org/43935645-Cortisol-versus-bindung-r-boehm-didacta-der-neoliberalismus-zerstoert-allgemein-bindungen-und-vertrauen-um-effizienz-zu-erhoehen.html
- Kevin Milligan: Learning from Quebec’s Experience, Understanding Recent Research on Quebec’s Childcare Programme, University of British Columbia, 2005
- Lekhal R. et al (2012), Norway’s high- quality center care reduces late talking in high- and low-risk groups, Journal of Development Behavioral Pediatrics, 33/2012, Heft 7, 562–569.
- Jochen Schmitt: Determinanten der psychischen Gesundheit im Einschulungsalter – Ergebnisse einer populationsbezogenen Untersuchung in Dresden, Kinder- und Jugendarzt, 46.Jg. (2015) Nr.6
- Sara R. Jaffee/Carol Van Hulle/Joseph L. Rodgers: Effects of Nonmaternal Care in the First 3 Years on Children’s Academic Skills and Behavioral Functioning in Childhood and Early Adolescence: A Sibling Comparison Study, Child Development, July ⁄ August 2011, Volume 82, Number 4, Pages 1076–1091
- Robert Schlack/Bärbel-Maria Kurth/Heike Hölling:Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Daten aus dem bundesweit repräsentativen Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS), Umweltmed Forsch Prax 13 (4) 204058– 260 (2008)
- Tobias Fritschi/Tom Oesch: Volkswirtschaftlicher Nutzen von frühkindlicher Bildung in Deutschland, Eine ökonomische Bewertung langfristiger Bildungseffekte bei Krippenkindern, Bertelsmann-Stiftung (2008)
- Una M. Röhr-Sendlmeier: Wie viel Mutter braucht das Kind? Zur Situation berufstätiger Mütter und ihrer Kinder, Analysen & Argumente, Konrad Adenauer Stiftung, Oktober 2015 Ausgabe 188