Wald-Kita: immer eine gute Lösung?
Erfahrungen der Erzieherin M in einer Wald-Kita in Sachsen- Anhalt:
Ich möchte von meinen Erfahrungen in einer Kindertageseinrichtung berichten, welche unser Träger 2021 neu eröffnet hat. Derzeit sind 40 Kinder dort betreut, 25 in zwei Krippengruppen (U3) und 15 in einer Kita-Gruppe Ü3. Die Einrichtung ist für über 60 Kinder ausgelegt und soll entsprechend erweitert werden.
Es ist eine Wald-Kita in einer wunderschön gelegenen Villa, direkt am Wald, in einer hervorragenden, alle „äußeren“ Bedürfnisse abdeckenden Einrichtung.
Die Personalpolitik wiederum ist erschreckend und grob fahrlässig. Jede Woche mussten wir -aus einer Zweigstelle im selben Ort- die neue Einrichtung unterstützen, auch deshalb waren immer wieder wechselnde Erzieherinnen zu sehen. Kontinuierlich waren anfangs nur eine Handvoll Pädagogen im Haus und diese hatten innerhalb eines Jahres beinahe vollständig gekündigt oder wurden aufgrund ihrer Kritik an der Einrichtungsleitung gekündigt.
Viele Kinder sind unter einem Jahr alt, teils noch in der Eingewöhnung befindlich. Die Betreuungszeiten sind enorm hoch (über 10 Stunden) und ich habe in der Zeit, die ich dort zubringen musste Kinder erlebt, die die gesamte Dauer der Betreuungszeit weinend, in offenbar völliger Verzweiflung, zugebracht haben. Niemand hat ihr Leid verstanden, Begriffe wie „Krippenuntauglichkeit“ oder „nicht reif für eine Tageseinrichtung“ scheinen gefährlich zu sein.
Die Elternschaft besteht größtenteils aus Pädagogen, es sollte diesen eigentlich die Tragweite dieser Art von Betreuungsnotstand klar sein.
Der allgemeine Mangel an Fachkräften überhaupt und in dieser Kita die außerdem stetig weiter sinkende Anzahl der Fachkräfte aufgrund von Entlassungen, Kündigungen und häufigen Krankheitsausfällen, führt dazu, dass der Krippenbereich teilweise durch Praktikanten abgedeckt wird, die alleine für eine Gruppe verantwortlich sind. Eine Gruppe wird derzeit sogar ständig von Praktikanten geführt.
Es ist erschreckend, stets zu wenig, teils ungeeignetes, gestresstes und wechselndes Personal zu sehen.
Es stellt sich mir unwillkürlich die Frage, ob solches etwa im Konzept zu finden ist und vor allem: wer solche Zustände genehmigt?
Diese Zustände sind dem Träger sehr wohl bekannt und eine Besserung der katastrophalen Betreuungssituation ist nicht in Sicht. Dennoch wird einfach so weitergemacht. Die Leiterin der Einrichtung ist vollkommen überfordert. Sie verhält sich zumeist teilnahmslos und ist auch nicht in der Lage, bei den Elterngesprächen angemessen auf die Eltern einzugehen. Einige wenige Eltern haben bereits die Reißleine gezogen und ihre Kinder wieder aus der Einrichtung genommen.
All diese Ereignisse, die sich weiterhin zuspitzen, gehen zu Lasten der Kinder. Ich habe diese verheerende Situation anonym an die örtliche Presse weitergegeben, da es die Stadt, der es ebenfalls gemeldet wurde, nicht interessiert hat. Der dazu veröffentliche Artikel wurde in allen Punkten von der Pressestelle meines Trägers dementiert und abgestritten. Seitdem geht es weiter bergab in dieser Einrichtung.
Ich habe den Eindruck, dass Kitas ohne Kontrollen und ohne Sicherheitsstandards eröffnet und betrieben werden können.
Auch wenn man die Zustände in der eben beschrieben Kita /Krippe nicht verallgemeinern kann, so sind sie doch, gemäß meiner und der Erfahrung meiner Kolleginnen und Kollegen, durchaus kein Einzelfall.
Daraus resultiert die Frage, wo denn die wirklichen, ursächlichen Probleme liegen und was gesellschaftlich bei uns grundlegend falsch läuft!?
Denn aus der Entwicklungspsychologie und der Bindungsforschung ist seit langem bekannt, dass eine solche Betreuung Verwahrlosung bedeutet und den Kindern dadurch, besonders in diesen prägenden ersten Lebensjahren lebenslang Schaden zugefügt wird.
Ich denke, dass die meisten Mütter bzw. Eltern sich nicht bewusst sind, was sie ihren Kindern antun. Sie denken alles richtig zu machen, da ja alle so handeln wie sie. Es werden ja auch (trotz des allseits bekannten, massiven Fachkräftemangels) fortgesetzt Vorteile für die kindliche Entwicklung durch Frühbetreuung propagiert. Und die Eltern haben nicht wirklich Einblick in die Realität der alltäglichen Betreuungssituation.
Auch in anderen Krippen gab es Kinder, die drei Monate lang am Morgen brüllend abgegeben wurden, zwischendurch vor Erschöpfung eingeschlafen sind und heiser vom vielen Weinen, wieder abgeholt wurden- jeden Tag in dieser Art und Weise, bis irgendwann die kleinen Seelen gebrochen waren und den Protest aufgegeben haben – endlich gut eingewöhnt…!!!
Dabei hat z.B. die Wiener Krippenstudie aufgezeigt, dass jene Kinder einen noch höheren Stresswert (Cortisolspiegel) aufweisen, die scheinbar problemlos die Fremdbetreuung hinnehmen als die Kinder, die weinen, sich an die Eltern klammern und ihrem (Trennungs-) Schmerz deutlich Ausdruck verleihen- das macht das Ganze noch viel trauriger.
Dieses Thema ist hochemotional und Mütter verteidigen sich und ihre Entscheidung vehement.
Wen wundert das? 70% „meiner“ Eltern haben angegeben, dass sie einen enormen gesellschaftlichen Druck wahrgenommen haben. Das kann ich übrigens bestätigen: von allen Seiten wurde auch ich gedrängt, das eigene Kind so schnell als möglich in fremde Hände zu geben. Es war enorm schwer, hier einen anderen Weg zu gehen. Man muss sehr viel wissen und sehr stabil sein, um bei all den Angriffen, Ausgrenzung und Allein-gelassen-sein durchzuhalten.
Es ist eine irreversible Entwicklung, die in Gang gesetzt wird von dem Tag an, wo ein Kind, entgegen seinem eigenen Willen in die Fremdbetreuung gegeben wird. Und dann wundern sich alle, wo später diese neue Generation von Kindern und Jugendlichen herkommt, der es an Empathiefähigkeit und Sozialverhalten, an Durchhaltevermögen, an Resilienz, an Wertmaßstäben und an Frustrationstoleranz mangelt. Statt dessen lebt diese Generation umso mehr internalisierende und externalisierende Gewalt und nimmt Drogen in der Hoffnung, wenigstens vorübergehend das zu finden, was die frühe Kindheit nicht geben konnte: Geborgenheit, Sicherheit – Urvertrauen.
Ich möchte wachrütteln für die Sorge und Betreuung des eigenen Kindes in den ersten Lebensjahren! Wir sind als Menschen eine extrauterine Frühgeburt, wie kann da guten Gewissens entschieden werden, diese vulnerablen kleinen Menschen in eine Einrichtung zu geben? Und wie ist es möglich, dass dies von der Politik gefördert und propagiert wird? Das kann ich nicht nachvollziehen! Und die Einrichtungen nehmen jedes Jahr zahlenmäßig zu, ebenso die frühbetreuten Kinder.
Nach all meinen Erfahrungen, die ich selbst während meines Studiums und später im Berufsleben (einschließlich meiner KollegInnen) in Krippen gemacht habe, haben mich zu dem Entschluss geführt, in der Frühbetreuung nicht mehr tätig sein zu können und zu wollen. Denn das Leid, das diesen Kindern von unserem System zugefügt wird, ist unerträglich.
Diese erfahrene Erzieherin und Mutter betreut seit geraumer Zeit Kinder im Schulalter aus sozial benachteiligten, prekären Familienverhältnissen, die meist bereits schon vor Vollendung des ersten Lebensjahres in Frühbetreuung gegeben wurden und seitdem umfassende institutionelle Betreuung und Förderung erhalten haben. In ihrem Erfahrungsbericht „Vorteile der Krippenbetreuung für Kinder aus prekären Familienverhältnissen?“ geht es um die Frage, ob institutionelle Frühbetreuung Vorteile für solche Kinder bedeutet.
Hier kommen Sie zum Beitrag: Krippe für sozial benachteiligte Kinder?